webnovel

Der sechste Tag / Truth

Als ich aufwachte, fühlte ich mich plötzlich richtig schlecht. Ich bin so darauf fixiert gewesen mit Joe zusammen zu sein, dass ich alles andere einfach ausgeblendet hatte. Morgen war der letzte Tag. Für mich, für ihn, für alle von uns. Doch habe ich mich von niemandem verabschiedet und ausgerechnet meine Familie sitzenlassen.

Würden sie sich freuen, mich noch einmal zu sehen? Wären sie wütend wegen meines plötzlichen Verschwindens? Vermutlich letzteres. Aber ich musste sie einfach sehen. Trotz allen Problemen die wir miteinander hatten, allen Streitereien, liebte ich sie.

Sie können ja auch nichts dafür, dass wir alle so blind waren gegenüber der Einzigartigkeit und der Kürze unseres Lebens. Hätte ich gewusst wie es kommen würde, hätte ich vermutlich alles und jeden viel mehr geschätzt und auch die schlechteren Dinge immer gewürdigt. Auch sie gehören zum Leben dazu.

So fasste ich den Entschluss, mich heute von den mir wichtigsten Menschen zu verabschieden und ihnen all das zu sagen, was ich noch nie gesagt habe.

Joe schlief noch tief und fest neben mir. Er sah so friedlich und glücklich aus. Seine Brust hebte und senkte sich in einem ruhigen Rhythmus und mir wurde klar, dass uns nicht mehr viel Zeit miteinander blieb. Aber ich konnte ihn heute einfach nicht mitnehmen, so weh es mir tat. Es war eine Sache, die ich allein erledigen musste.

Ich befreite mich von der Bettdecke, stand auf und legte sie sanft über Joe. Dann ging ich in die Mitte des Raumes, blieb stehen und stütze meine Handflächen auf meinen Hüften ab. Ich suchte nach etwas zum Schreiben und ein leeres Blatt Papier. Als ich beides hatte, schrieb ich eine Nachricht hinauf:

Guten Morgen, Joe. Wie du gemerkt hast, bist du heute ohne mich aufgewacht. Ich bin weg um etwas zu erledigen, was leider ohne dich stattfinden muss, aber ich werde heute Abend auf jeden Fall zurück sein. Ich liebe dich.

Deine Charlotte

Als ich fertig war, legte ich den kleinen Zettel auf seinen Nachttisch. Ich warf einen letzten Blick auf Joe, welcher immer noch friedlich vor sich hin schnarchte und ein Lächeln haschte über meine Lippen. Dann nahm ich meine Tasche und ein paar weitere Sachen und verschwand so leise wie möglich ins Bad, um mich fertig zu machen. Der Holzboden knarrte bei jedem meiner Schritte, doch ich war schnell an der Tür.

Ich verließ das Haus ohne etwas zu essen, da ich sowieso keinen Hunger hatte und Joe's Mutter nicht mit dem Krach den ich veranstalten würde wecken wollte. Somit zog ich die große weiße Tür leise hinter mir zu und ging zur Bushaltestelle.

Die Sonne scheinte an einem wolkenlosen Himmel, genau wie die vergangenen Tage. Es wirkte fast wie ein ganz normaler Tag. Bis auf diese kleine Sache. Was war es nochmal? Ach, ja. Das Ende der Welt.

Niemand wusste wirklich, wie es aussehen würde. Ich meine, uns wurde berichtet, dass ein unterirdischer, riesiger Vulkan morgen ausbrechen würde, aber ansonsten wussten wir gar nichts. Wann würde es geschehen? Das wahr wohl die wesentlichste Frage.

Der Bus kam nicht, ich wartete schon eine ganze Weile. Naja, dachte ich denn wirklich dass jetzt noch jemand seinem Job nachgehen würde? Ich erhob mich also und machte mich auf den Weg zu meinen Eltern.

Ich hörte wie die Tür sich entriegelte als ich den Schlüssel umdrehte und trat zögernd ein. Als ich sie hinter mir schloss, hörte ich die Stimme meines Vaters vom oberen Ende der Treppe. "CHARLOTTE!" schrie er und sogleich stürzte er gemeinsam mit meiner Mutter auf mich zu. Sie starrten mich einen Moment lang ungläubig an, als könnten sie nicht realisieren dass ich wirklich vor ihnen stand. "Wo warst du denn?" fragte meine Mutter mit zittriger Stimme bevor sie mich beide fest umarmten.

Als wir uns aus der Umarmung lösten, erzählte ich es ihnen. "Ich war bei Joe. Wir...sind zusammen. Es tut mir leid, dass ich einfach abgehauen bin, ich war hin- und hergerissen und ihr habt gestritten und da hielt ich es nicht mehr aus," sprudelte es förmlich hervor.

Meine Mutter riss die Augen auf, als sie den Grund meines Verschwindens erfuhr. "Liebling, es tut uns so leid, dass wir dich dazu veranlasst haben zu gehen... Du weißt doch aber, wir lieben uns, egal wie oft wir uns streiten!"

"Nein, das weiß ich nicht, aber ist ja auch gut jetzt. Ich hab eben überreagiert und das tut mir aufrichtig leid. Ich bin heute hergekommen, weil ich euch etwas sagen möchte und ich will, dass ihr mich nicht unterbrecht und dass ihr es versteht."

Sie sahen sich mit neugierigen Blicken an bevor sie nickten. "Was immer es ist, wir lieben dich, Charlotte," versicherten sie mir und ich holte tief Luft bevor ich begann.

"Okay, das ist jetzt nicht leicht. Ich weiß, ihr seid meine Eltern, meine Familie, aber ich habe euch nicht immer alles erzählt. Auch wenn ihr immer gesagt habt, dass ich euch alles anvertrauen könnte ohne dass ihr mich beurteilen würdet, so hatte ich doch oft Angst vor eurer Reaktion und habe eine Menge für mich behalten. Nun, vielleicht war das auch besser so in den meisten Fällen, doch schlussendlich hätte ich es einfach erzählen sollen.

"Eine lange Zeit wollte ich von hier weg. Meine Freunde waren mir manchmal eher eine Familie als ihr und obwohl das so war, traute ich mich nicht, etwas an unserer Beziehung zu ändern. Ich hatte nicht den Mut dazu, eine "Rebellin" zu sein und mich gegen euch aufzulehnen, also ließ ich alles über mich ergehen, ohne ein Gegenwort auszusprechen. Ihr habt meine Zukunft bestimmt und Entscheidungen für mich getroffen, während ich insgeheim schon lange etwas komplett anderes für mich im Kopf hatte.

"Ich möchte eins klarstellen. Ihr konntet zwar früher meinen Lebensweg bestimmen und die Richtung ändern, aber jetzt nicht mehr. Es ist mein Leben, ich bin nicht mehr euer kleines Mädchen und ich will selbst entscheiden. Ich weiß, dass morgen alles vorbei ist und deshalb bin ich hier. Ihr habt die Wahrheit verdient und auch wenn meine Worte euch vielleicht wehtun, habe ich euch immer geliebt und werde nie damit aufhören. Ich hoffe, ich habe euch nicht all zu sehr verletzt mit dem was ich gesagt habe. Ihr müsst nur verstehen, dass ich meinen eigenen Weg gehe und ihr müsst das zulassen."

Als ich fertig war, sah ich ihnen in die Augen und überraschenderweise fand ich keine Wut in ihnen. Ihr Blick war sanft und auf eine Art und Weise bedauernd. Aber was bedauerten sie?

Meine Mutter begann zu sprechen: "Lotte, wir verstehen das. Als wir jung waren, so ungefähr in dem selben Alter wie du, haben wir uns genauso gefühlt. Ich schätze, das gehört zum Erwachsenwerden dazu, man erzählt den Eltern eben nicht alles und man hat seine eigenen Pläne. Das ist völlig in Ordung, Liebes. Du unterschätzt, wie sehr wir dich lieben. Wir werden dich auf all deinen Wegen begleiten, die du einschlägst. Bitte renn nur nicht mehr von Zuhause weg, wir haben uns solche Sorgen gemacht!"

Ungläubig öffnete ich meinen Mund, aber nichts kam heraus. Ich war überrascht darüber, wie gut sie es aufgenommen hatten. Anstatt etwas zu sagen, fing ich plötzlich an breit zu grinsen und umarmte meine Eltern. Meine Familie. Das wichtigste überhaupt. Ich begann zu weinen, alles brach über mich herein. Das Ende der Welt, jetzt wo alles besser geworden war, ausgerechnet jetzt musste es passieren.

Unter Tränen des Bedauerns hatten sich ebenso vereinzelte Freudentränen geschlichen. Freude darüber, dass meine Eltern mich verstanden und dass Joe mich liebte und dass ich endlich verstand, was 'Leben' eigentlich bedeutete.

Meine Eltern fingen an, zu weinen wie ich und eine ganze Weile standen wir nur einander in die Arme schluchzend dort im Gang unseres bescheidenen Hauses, in dem wir einen großen Teil unseres wundervollen Lebens mit Tiefpunkten ebenso wie Höhepunkten verbracht haben.

Als wir uns einigermaßen beruhigt hatten, redeten wir noch über viele Dinge und darüber, was momentan in der Welt geschah. Mein Vater erzählte mir, dass die Nachrichtensprecher auf Hochtouren arbeiteten, verteilt auf der ganzen Erde und die Telefone in Redaktionen praktisch seit der großen Verkündung ununterbrochen heiß liefen.

Alle wollten Antworten, Eltern wollten auf irgendeine Weise ihre Kinder beruhigen, die das alles noch gar nicht verstanden und um es kurz auszudrücken, die komplette Welt war völlig aus dem Häuschen.

Ich blieb noch zum Mittagessen und machte mich dann wieder auf den Weg, um meiner heutigen Aufgabe nachzukommen. Ich würde auf jeden Fall noch einmal zurückkommen, aber das musste jetzt warten.

-------------------------------------------------------------

Ich klopfte an der mir sehr bekannten Eichenholztür, an der zu egal welcher Jahreszeit ein Blumenkranz hing und starrte an die Hausmauer, von der das schlichte Gelb langsam abzublättern drohte.

Meine beste Freundin Hailey öffnete nach einer Weile die Tür und als sie mich ansah, lächelte sie leicht. "Hey, na Lotte? Geht's dir gut?" begrüßte sie mich und machte mit der Hand eine kurze Geste, dass ich herein kommen könnte. "Ja, soweit schon." Wir umarmten uns und gingen hinein.

Eine Weile saßen wir am Küchentisch um zu reden, ihre Eltern waren noch nicht aus dem Urlaub zurückgekehrt, da keine Flugzeuge mehr starteten und sie somit festsaßen. Sie und Hailey taten mir deshalb sehr leid.

Hailey's Bruder Patrick kam gerade nach Hause, wegen dem ich hauptsächlich hier war. "Yo Hailey, bin zurück," schrie er unbekümmert ins Zimmer und ich hörte seine schweren Schritte auf der Treppe. Ich warf Hailey einen vielsagenden Blick zu, auf den sie mit einem verständnisvollen Nicken antwortete.

Dann erhob ich mich von der kleinen Eckbank um nach oben zu gehen. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, anzuklopfen, sondern ging ohne Aufforderung in das unaufgeräumte Zimmer hinein. Patrick lag auf seinem Bett und warf mir einen flüchtigen Blick zu, bevor er mit den Augen rollte.

"Freust du dich denn gar nicht, mich zu sehen, Patrick?" fragte ich provokant. "Was willst du, Pferdegesicht?" kam zurück, Belustigung war in seiner Stimme zu hören. Sein Versuch, mich niederzumachen, scheiterte. "Vielen Dank für das Kompliment," sagte ich sarkastisch. "Sowas lässt mich schon lange kalt, lass dir was besseres einfallen, Patty."

Er schenkte mir ein gezwungenes Lächeln und widmete sich wieder dem sturen Anstarren seiner Wand. "Irgendeine Ahnung, wieso ich hier bin?" fragte ich ihn. Er wusste den Grund ganz genau, schwieg jedoch und starrte weiter vor sich hin.

Patrick mag zwar der Bruder meiner besten Freundin sein, das bedeutete jedoch nicht, dass er mich nicht hassen würde. Egal wie viele Male ich versucht hatte, nett zu ihm zu sein, ihm einen Grund dafür zu geben, mich in Ruhe zu lassen, er tat es nie. Er war mit mir in den Kindergarten gegangen und zwei Jahre zur Schule. Anfangs war er eigentlich nett zu mir, ärgerte mich trotzdem des öfteren.

Später, als ich und Hailey uns angefreundet hatten, stellte sich etwas heraus. Patrick war über beide Ohren in mich verschossen gewesen. Ich war so gut wie jeden Tag bei Hailey zuhause und es hat ihn zu Tode genervt, weil ich ihm eine Abfuhr erteilt hatte. Seitdem hasste er mich.

Jedenfalls hat er mich bei jeder Möglichkeit, die sich bot, zum Affen gemacht. Ich hatte kaum andere Freunde als Hailey, dank ihm, denn er setzte immer Gerüchte in Umlauf, wegen der mich niemand leiden konnte. Das war der Punkt, an dem ich aufgehört habe, mich selbst zu mögen. Ich war noch zu jung und naiv, ich glaubte eben wenn mir jemand sagte, dass mich niemand haben will.

Genau das war mein Grund, Patrick zu hassen. Er hatte es geschafft, mir meine Freunde und mein Selbstvertrauen zu nehmen. Irgendwann jedoch erkannte ich, dass ich selbst doch die einzige war, die mir all das wieder zurückholen könnte. Es dauerte zwar, aber schlussendlich habe ich aufgehört mich dafür zu interessieren, was andere über mich sagten oder dachten.

Ich bin einzigartig. Und ja, ich bin anders als die anderen. Ich bin ein Außenseiter. Aber das ist doch völlig okay, denn wer will schon genauso sein, wie jemand anderes schon ist? Das wäre total langweilig. So viele Menschen geben vor, jemand zu sein, der sie nicht sind, nur um anderen zu gefallen. Das ist falsch. Ich persönlich finde es viel schöner, wenn man ganz man selbst sein kann. Wenn das anderen nicht gefällt, ist es deren Problem, deren Verlust.

Mit dieser Einstellung wurde ich um einiges glücklicher, zufriedener mit mir selbst und die Patrick's dieser Welt konnten mir gar nichts mehr.

"Ich bin hier, weil du mir etwas zu sagen hast." Er blickte irritiert auf. "Ich? Reden? Mit dir?" Er deutete erst auf mich, dann auf sich selbst. "Du träumst wohl."

"Nein, Patrick, das tue ich mit Sicherheit nicht. Du hast mir etwas zu sagen." "Und was wäre das?" fragte er bissig, während er aufstand und sich vor mir aufbaute. "Ganz einfach. Die Wahrheit."

Einer seiner Augenbrauen zuckte und er wich ein Stück zurück. Er öffnete kurz den Mund und schloss ihn dann wieder, er war sichtlich überrollt von meinen Worten. Trotzdem schien er zu verstehen, wovon ich sprach.

Er fasste sich wieder und schaute mir entschlossen in die Augen. Sein Blick wurde plötzlich ungewohnt sanft, wie ich es bis jetzt bei ihm noch nie gesehen hatte.

"Na schön. Ich hab ja jetzt eh nichts mehr zu verlieren... Lotte - Ich meine Charlotte - es tut mir leid, dass ich dich jahrelang so schlecht behandelt habe, dich beleidigt und vorgeführt habe. Insgeheim war ich von mir selbst angewiedert, aber ich konnte es einfach nicht lassen, es... Ich habe es doch nur getan, weil ich dich liebe. Ich war so egoistisch - dich mit anderen zu sehen, hielt ich nicht mehr aus, deswegen habe ich schlecht von dir geredet, damit sie dich alleine lassen.

"Ich musste mir irgendwie einreden, dass ich dich nicht liebe, ich meine, du warst jeden Tag hier, aber nie wegen mir. Das habe ich mir zwar selbst zuzuschreiben, aber ich war trotzdem traurig darüber. Schlussendlich war die Wut die ich in die Beleidigungen gesteckt habe, eine Wut gegenüber mir selbst...Ich hatte das einzige was ich wollte verspielt und es tut mir aufrichtig leid, bitte glaub mir das, Charlotte. Und, ich erwarte kein Verständnis und keine Nettigkeit von dir, du kannst also einfach gehen, wenn du willst..."

Er zeigte zur Tür, während seine andere Hand verlegen nach oben zu seinen Haaren wanderte. Er kratzte sich am Kopf und wagte es nicht, mir in die Augen zu schauen. Ich nutzte seine geöffnete Haltung und ging einen Schritt nach vorne, um ihn zu umarmen. Er war überrascht und erst nach ein paar Sekunden Verwunderung legte er seine Arme um mich. Er wollte mich kaum loslassen, jetzt, wo er mich zum aller ersten Mal in den Armen hielt, seine Umarmung war stark und ich würde jetzt nicht einfach wieder gehen.

"Ich verzeihe dir, Patrick."

Er atmete erleichtert aus während er mich noch fester an sich drückte, bevor er mich schlussendlich losließ. Ich sah ihn an und in seinen Augen war fast schon Freude zu sehen. "Danke, danke, danke!" sagte er glücklich, es waren wohl die Worte, die er für sich selbst noch nicht entschieden hatte auszusprechen, aber es war offensichtlich ein befreiendes Gefühl. Der erste Schritt zur Besserung war es, sich einzugestehen, dass man nicht okay ist, und genau das war heute mit Patrick passiert.

Er hat mir die Wahrheit gesagt, ich habe ihm verziehen und im Angesicht der Tatsache, dass wir morgen aufhörten zu existieren, waren wir ziemlich froh darüber, dass ich heute hier war. Wir gingen nach unten zu Hailey und redeten noch etwas. Sie meinten, sie würden heute Abend zu ihren Großeltern gehen und bei ihnen bleiben, da ihre Eltern ja nicht mehr zurückkommen würden.

Patrick ging irgendwann nach oben um schon mal ein paar Sachen einzupacken, somit war ich wieder allein mit Hailey. Sie warf mir einen fragenden Blick zu. "Wie hast du es denn angestellt, dass er kein Griesgram mehr ist?"

"Wir haben nur geredet, Hailey," sagte ich und sie nickte. "Okay, na, auf jeden Fall schön, dass du nochmal vorbeigekommen bist Charlie." Wir lächelten. So nannte sie mich immer, ich war ganz froh darüber, denn ich konnte meinen Namen eigentlich nicht leiden und Charlie hörte sich zumindest etwas besser an.

Sie begleitete mich zur Tür. "Bye, Patrick!" schrie ich die Treppe hoch und kurz darauf stand er auch schon neben mir. Ich umarmte beide noch ein letztes Mal bevor ich schweren Herzens ging. Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe und es war als würde ich mein Leben verabschieden, da ich es ja zu einem großen Teil mit ihnen verbracht habe.

Ich schloss die Tür hinter mir und draußen kniff ich meine Augen zusammen, geblendet von der Sonne. Es war immer noch warm, fast schwül. Vielleicht würde es ja ein Gewitter geben. Ich machte mich auf den Weg zurück nach Hause, da es nicht weit entfernt war.

Ich aß noch mit meinen Eltern zu Abend und ging dann hinauf in mein Zimmer, nachdem ich meiner Mutter beim Abwasch geholfen hatte. Als ich oben war, schaute ich mich um. Ich warf mich ein letztes Mal aufs Bett und blieb eine Weile liegen, während ich die Decke anstarrte. In der Luft, die von den Sonnenstrahlen aussah, als würde sie in Streifen geteilt werden, schwebten kleine weiße Partikel. Ich seufzte.

In diesem Zimmer habe ich mir zahllose Nächte um die Ohren geschlagen, in denen ich einfach keinen Schlaf finden wollte. Hier habe ich oft alleine geweint, wenn etwas schlimmes passiert war. Hier drinnen habe ich mein Leben verbracht. Gute und schlechte Momente, meine erste Ohrfeige, mein erster Kuss... Ich stand auf und sah mich noch einmal um, indem ich mich langsam im Kreis drehte. Dann packte ich meine Tasche, ging noch kurz duschen und wechselte meine Klamotten.

Ich ging die Treppe herunter, bereit, mich auch vom Rest des Hauses und der Familie zu verabschieden. Meine Großeltern waren leider schon verstorben, aber ich war in Gedanken bei ihnen. Geschwister hatte ich keine. Also ging ich zu meinen Eltern, die im Wohnzimmer saßen und die Nachrichten guckten.

Ich blieb im Türrahmen stehen, die Tasche geschultert. Sie bemerkten mich und standen auf. "Mom, Dad, ich werde jetzt wieder zu Joe gehen," verkündete ich und meine Stimme war wacklig.

Sie kamen zu mir und wir umarmten uns noch einmal ganz lang, so als würde die Zeit stehenbleiben und die Welt aufhören, sich zu drehen, während wir es taten. Wir wollten uns nicht loslassen, aber wir spürten, dass wir es mussten. Es war an der Zeit, Abschied zu nehmen.

Mir kamen heute schon zum zweiten Mal die Tränen, aber mein Dad wischte sie weg. "Es ist okay, Schatz, es ist okay," wiederholte er ein paar Mal, bis ich mich beruhigt hatte. "Ich danke euch, für alles, was ihr für mich getan habt, ich liebe euch so sehr!" schluchzte ich und sie lächelten leicht.

"Wir lieben dich auch, Liebling," jetzt kullerten auch bei ihnen die Tr��nen, aber sie hielten sie größtenteils zurück. Wir verabschiedeten uns schlussendlich und ich machte mich auf den Weg zu Joe. Es schmerzte, als ich ein letztes Mal auf das Haus, das ich mein Zuhause genannt hatte und auf meine mir nachwinkenden Eltern zurückblickte.

Es war wie jeden Abschied, der je genommen wurde, noch einmal zu hören, jeden Abschied auf einmal. Jede letzte Umarmung, jedes verzweifelte "Auf Wiedersehen" in dem Wissen, dass es kein Wiedersehen mehr geben würde. Jeden Abschiedsschmerz auf einmal.