Nan Hua und Long Qian Xing

Die junge Frau, Miss Long, stand reglos da. Ihr Gesicht war kalt, als sie sich umwandte, um den Eingang zu betrachten. Ein Junge, etwa 12 bis 13 Jahre alt, stand dort mit einem sanften Lächeln im Gesicht. Er trug eine klassische blaue Robe mit langen Ärmeln. Sein ordentliches Äußeres ließ ihn leicht wie einen jungen Gelehrten wirken, wenn das nicht passende Alter gewesen wäre. Doch der leichte Druck, den er ausstrahlte, stand dem erfahrener Soldaten in nichts nach.

"Wann bist du zurückgekehrt, Long Qian Xing?" fragte Miss Long mit kalter Stimme.

Hua hatte sich im Bett aufgesetzt und beobachtete sie schweigsam. Ihre Augen bewegten sich langsam, um alles zu erfassen, während ihr Gehirn schnell arbeitete.

Der Name Long Qian Xing war ihr nicht fremd. Schließlich hatte sie mehrere Stunden damit verbracht, jenen dicken Roman zu beenden, den der Arzt ihr gegeben hatte. Die Hauptfigur hieß Long Qian Xing, und dieser Name tauchte unzählige Male in dem Roman auf, den sie gerade gelesen hatte.

"Seine Hoheit möchte eine kurze Pause einlegen, bevor er sich der Geografie widmet, daher bin ich zurückgekommen, um einige meiner Notizen zu holen." Long Qian Xings Lächeln blieb sanft, doch in seinen Augen war keine Freude zu erkennen. Seine Stimme war beruhigend, auch wenn sie aufgrund seines jungen Alters noch etwas kindlich klang.

"Ah, ist das so?" Miss Long runzelte die Stirn. "Du..."

"Miss Nan ist meine Verlobte. Da sie den Besuch bei der Großmutter bereits beendet hat, erlaube mir, sie bis zum Tor zu begleiten", fuhr Long Qian Xing in einem gelassenen Ton fort. Sein Blick ruhte auf der Gestalt Huas im Bett.

Miss Nan?

Nan Hua...

Bei dem Namen klingelte etwas in Huas Kopf. Der Roman wurde aus Long Qian Xings Perspektive erzählt, und es hieß, dass er eine Verlobte namens Nan Hua hatte. Nan Hua war eine distanzierte Person, aber als Hauptheiratstochter der Familie Nan war sie eine passende Partnerin für Long Qian Xing, der bald ein großer General werden würde.

Long Qian Xing hatte eine ältere Schwester, ihr Name war Long Xu Nian. Sie stand in einem schwierigen Verhältnis zu ihrem Bruder, sowohl wegen ihrer mutigen Persönlichkeit als auch ihrem Wunsch, sich von der Familie Long zu emanzipieren.

Aus Hass gegenüber Long Qian Xing machte sie Nan Hua oft das Leben schwer, Long Qian Xings Verlobte, bevor sie selber verheiratet wurde. Da Long Xu Nian zu Beginn des Romans bereits 14 Jahre alt war, dauerte es nicht lange, bis diese Figur aus der Geschichte verschwand, da sie verheiratet wurde und nur noch gelegentlich zu Beginn des Romans auftauchte.

Hua, die nun zu Nan Hua geworden war, warf Long Qian Xing einen Blick zu. Ihre Augen glitzerten, als sie zu begreifen schien, dass sie sich irgendwie in Nan Hua verwandelt hatte.

Wie?

Sie hatte keine Ahnung. Alles, was sie wusste, war, dass sie in den Roman eingetreten war und zu dieser Nan Hua, der Verlobten der Hauptfigur, geworden war. Gleichzeitig war dies kein Roman mehr, sondern ihre Realität, und sie selbst wusste nicht, ob sie zurückkehren konnte oder nicht.

Außerdem, selbst wenn sie zurückkehren könnte, könnte ihr Körper bereits zerstört sein, da sie von der Lawine lebendig begraben worden war.

Da dem so war, sollte sie ihre Rolle als Nan Hua gut spielen.

"Ist das überhaupt angemessen?" Long Xu Nian funkelte Long Qian Xing an. "Du willst sie zurücksenden, aber hast du auch an die Gerüchte gedacht, die sich deshalb verbreiten könnten...?"

"Jie Jie, ich bringe sie nur zum Tor. Wie sollte das unangemessen sein?" Long Qian Xing sah zu seiner älteren Schwester hinüber, während er den Drang unterdrückte, mit den Augen zu rollen. Seit er in diese Welt kam, hatte er sich zurückgehalten, denn die Gesetze zwischen der modernen Welt und der antiken Welt waren sehr verschieden.

Für ihn war es wirklich schwer, sich wie gewohnt zu verhalten.Außerdem waren sie beide noch Kinder, sie war sogar jünger als er. Selbst wenn man sie zusammen sehen würde, sähe es eher so aus, als würden zwei Kinder miteinander spielen, anstatt dass ein Paar Ehebruch begeht.

„Ich danke euch für eure Freundlichkeit, junger Meister Long", unterbrach Nan Hua, die kein Interesse daran hatte, Zeugin weiterer Dramen zu werden.

Als sie ihre eigene Stimme hörte, war Nan Hua innerlich schockiert. Sie war zwar bereits 17 Jahre alt, und ihre Stimme hatte sich dementsprechend gereift, aber die Stimme, die sie gerade hörte, war eindeutig die hohe Tonlage eines kleinen Mädchens. Ihre Augen senkten sich langsam, während sie ihre Hand betrachtete.

Kleine Hände, die zu einem kleinen Mädchen gehörten... vielleicht 8 oder 9 Jahre alt?

Sie war plötzlich jünger geworden.

Diese Zeitleiste... sie wusste nicht genau, wann dies im Roman geschah. Der Roman konzentrierte sich hauptsächlich auf Long Qian Xing, daher hatte Nan Hua keine klare Referenz dafür, in welcher aktuellen Zeitspanne sie sich befand. Sie konnte jedoch vermuten, dass sie sich noch am ganz frühen Anfang des Romans befand.

Nicht, dass alles stets genauso verlaufen würde, wie es im Roman geschrieben stand – ihre Anwesenheit könnte einiges verändern.

Long Qian Xing blickte auf Nan Hua, die unerwartet das Wort ergriffen hatte. Soweit er wusste, war sie eine stille und schüchterne Dame, die sich nicht getraute, für sich selbst einzustehen.

Er lächelte sanft. „Wenn das so ist, dann gehen wir. Bitte verzeiht mir, Jie Jie."

Long Xu Nian wollte ihren jüngeren Bruder noch weiter schelten, aber zum Verfluchen fehlten ihr die Worte. Ihr Bruder war schon immer ein Dorn im Auge, aber in den letzten Monaten hatte er sich noch schwerer durchschauen lassen.

Es war, als hätte sich ihr Bruder verändert, nachdem er von der Front zurück in die Hauptstadt geschickt worden war.

Sie beobachtete, wie Long Qian Xing den Weg für Nan Hua wies. Die beiden Kinder gingen in gemächlichem Tempo hinaus, ohne Eile und ohne Bummeln. Der Anblick schmerzte ihr in den Augen.

„Fräulein", rief das Dienstmädchen neben Long Xu Nian. „Die Tasse ist verschwunden."

„Verschwunden?" Long Xu Nian verengte die Augen. Sie spottete. „Und wenn sie verschwunden ist, was dann? Es war nur gewöhnlicher Tee, und ich weiß von nichts."

Das Dienstmädchen lächelte. „Das Fräulein ist weise."

Während Long Xu Nian daheim das Chaos beseitigte, ging Long Qian Xing an Nan Huas Seite zum Tor. Er verlangsamte seinen Schritt, um mit dem jungen Mädchen neben ihm Schritt zu halten, das im Schneckentempo ging.

Nan Hua hatte ein erlesenes Gesicht, auch wenn sie es selbst noch nicht gesehen hatte. Ihre Haut war hell, ihr Gesicht rund und entzückend. Ihre Augenbrauen verliehen ihr etwas Elegantes, und ihre gewöhnliche Stille steigerte ihren Charme als schüchternes Mädchen. Wenn man sie beschreiben müsste, würde man sagen, dass sie wie eine Porzellanpuppe wirkte.

Da sie in einer Trauerperiode war, trug Nan Hua ein leichtes, pfirsichfarbenes Kleid. Es stand ihr gut und machte sie noch schutzbedürftiger, sodass man sie noch mehr beschützen wollte.

Beim Anblick des jungen Mädchens fühlte Long Qian Xing sich an seine kleine Nichte erinnert und seufzte innerlich. Er streckte die Hand aus und kniff Nan Hua in die Wange.

„Kleines Mädchen, wenn du Long Xu Nian nicht gewachsen bist, dann komm nicht hierher, um Ärger zu suchen."

Nan Hua zog die Stirn kraus. Ihre Augen schauten Long Qian Xing fragend an, während sie seine freche Hand, die ihre Wange zwickte, ignorierte.

Hinter ihr war Nan Huas Zofe außer sich. Fräulein! Schlag ihm die Hand weg! Wie können Sie es zulassen, dass er Ihre Wange so ungeniert berührt?