Adriennes Gesichtsfarbe wich. Wie konnten sie nur so grausam sein? Sie wussten, wie dringend sie um das Leben ihrer Mutter gekämpft hatte, jedoch hatten sie bis zum bitteren Ende alles inszeniert.
Wie konnte Cayden ihrer Mutter so etwas antun? Wenn überhaupt, hatte sie ihn wie ihr eigenes Kind großgezogen und ihn mit allem versorgt, was er zum Aufwachsen benötigte. Vielleicht hatte ihre Mutter ihm sogar mehr Aufmerksamkeit geschenkt als ihr selbst.
Und ihr Vater? Ohne ihre Mutter wäre das Erbe und die Firma seiner Familie längst untergegangen. Er wäre ohne sie nichts. Er hätte dankbar sein sollen, aber letztendlich entschied er sich, sie zu verraten.
Adriennes Gefühle übermannten sie. Ihre Tränen waren nun von Blut getränkt – ein schrecklicher Anblick, doch weder Cayden noch Elise schien es zu stören.
Sie brauchte ihren Vater nicht zu fragen, ob er involviert war. Auch wenn er nicht zugegen war, die bloße Tatsache, dass er seiner Geliebten und seinen Kindern erlaubte, sie aus dem Weg zu räumen, sprach Bände. Wie konnte er ihr, seiner eigenen Tochter, so etwas antun?
Selbstverständlich. Jetzt, wo seine erste Frau tot war, blieb nur sie übrig. Würde irgendwer entdecken, dass Cayden nicht der Sohn ihrer Mutter war, würde sein Erbe in Frage gestellt werden. Aber wenn auch Adrienne sterben würde, wäre dies ein ganz anderes Thema.
Adrienne hustete weiter Blut und begann wahnsinnig zu lachen – etwas, das die anderen drei vollkommen überrumpelte. Sie fragten sich, ob sie den Verstand verloren hatte, doch es spielte keine Rolle. Sie wollte, dass sie gemeinsam mit ihr untergingen, dass sie die Hölle durchlebten, die sie ertragen musste, und am meisten wollte sie sich das zurückholen, was sie ihrer Mutter genommen hatten.
Doch in ihrem jetzigen Zustand konnte Adrienne sie nur innerlich verfluchen. Niemand konnte sie jetzt retten, nicht dass sie gerettet werden wollte. Sie hatte keinen Grund mehr zu leben, da sie im Begriff war, alles zu verlieren.
"Ist meine ältere Schwester etwa verärgert, weil Papa dich nicht wegschicken kann?" spöttelte Elise weiter. "Keine Sorge, außer deiner Mutter und deiner besten Freundin ist noch jemand bereit, dich ins Jenseits zu begleiten."
Zwei unbekannte Männer traten hinein und schleppten auf Abruf einen vertrauten Jungen herein. Wenn Adrienne dachte, es könne nicht schlimmer kommen, irrte sie sich gewaltig. Sie warfen den jungen Dylan unsanft auf den Rücksitz.
'D-Dylan?!' Adrienne keuchte schmerzvoll, während sie nicht glauben konnte, was sie im Spiegel des Armaturenbretts sah. Das durfte nicht wahr sein!
Weil Myrtle so kurz nach Dylans Geburt starb, war der Junge in Alistairs Obhut gegeben worden. Doch dieser kümmerte sich überhaupt nicht um seinen Neffen. Daher übernahm Adrienne die Rolle seiner Pflegemutter. Sie kümmerte sich um ihn und überschüttete ihn mit der Liebe und Aufmerksamkeit, von der sie wusste, dass ihre beste Freundin sie ihrem Sohn gegeben hätte.
Der Junge war seit seiner Geburt nicht bei bester Gesundheit. Sein Herz war schwach und seine Konstitution nicht besonders robust, vor allem nicht in der kalten Jahreszeit. Dazu kam, dass Alistair den Jungen als ein Hindernis zwischen ihm und Adrienne ansah. Er war ihr Ehemann und sie priorisierte den Jungen vor ihm, was Alistair in Wut versetzte.Vor drei Monaten erkrankte Dylan, und Adrienne sah sich gezwungen, Alistair anzuflehen, den Jungen zur Behandlung ins Krankenhaus zu bringen. Doch dieser Gefallen hatte seinen Preis – und Adrienne musste ihn mit ihrem Körper bezahlen. Wie Camilla den Jungen in die Hände bekommen hatte, blieb ihr ein Rätsel.
Dylan rang nach Luft und wirkte blass und krank. Seine Haut war trotz der kalten Außentemperaturen schweißüberströmt.
"Mama... Ich möchte nach Hause. Mama... Wo bist du...? Hier ist es so kalt, Mama", murmelte der Junge, von Schmerzen geplagt hinter Adrienne.
Adrienne schloss ihre Augen und lauschte den Flehen ihres Adoptivsohnes. Die Erkenntnis, dass sie es nicht geschafft hatte, dieses unschuldige Kind zu schützen, zerriss ihr das Herz. Ihr ganzer Körper zitterte – nicht vor der Kälte der Nacht, sondern weil ihre gesamte Welt über ihr zusammenbrach. Sie hatte alles verloren und war machtlos.
Ihr Gesichtsausdruck wurde zu dem eines rachsüchtigen Geistes und ihre Augen funkelten vor Wut. Cayden wich vom Auto zurück, ein Schweißtropfen rann seine Wange hinunter. Er versuchte, das unheilvolle Gefühl, das seine törichte Schwester ihm gab, abzuschütteln.
"Es ist Zeit für dich zu gehen, Addie", sagte er mit selbstgefälligem Blick. "Da deine Mutter tot ist und Myrtle auch in ihrem Grab verwesen wird, solltest du dich schneller mit ihnen im Jenseits vereinen. Sei dankbar, dass wir dich so einfach davonkommen lassen."
Cayden zog etwas aus der Tasche seines Trenchcoats und drückte einen Knopf. Er blickte immer noch erschrocken aus. Das Auto mit Adrienne und Dylan setzte sich in Bewegung, fuhr auf die Kante der Klippe zu und stürzte schließlich in die Tiefe, wo es auf dem schneebedeckten Boden aufschlug.
Als Adrienne ihre Augen einen Spalt öffnete, waren Windschutzscheibe und Fenster zerborsten. Sie sah zum Armaturenbrett, wo sie den unglücklichen Jungen erblickte, der in dieser Tragödie unfreiwillig ihre Begleitung war.
Unaufhörlich rann Blut von Dylans Kopf. Ein herzzerreißender Schmerz durchfuhr sie. Adrienne war selbst schwer verletzt, aber noch mehr brach ihr Herz, als sie den Zustand des Kindes sah.
'Verzeih mir, Myrtle. Ich habe es nicht geschafft, Dylan zu schützen. Ich hätte auf dich hören sollen – du hattest schließlich recht.'
Benzingeruch stieg ihr in die Nase, und plötzlich brach ein Feuer aus, das das Autowrack verzehrte. Sie würde heute Nacht alles verlieren, doch das spielte keine Rolle mehr. Alles, was ihr lieb und teuer war, hatte bereits untergegangen, und sie würde bis zum Ende eine Lachnummer bleiben.
Adrienne lag auf der Seite, Tränen flossen weiterhin aus ihren Augen. Sie prägte sich dieses Andenken und die Personen, die sie ins Verderben geführt hatten, ins Herz. Sollte sie eine zweite Chance erhalten, würde sie alles daransetzen, sie in ewige Verdammnis zu stürzen. Sie würde nicht zögern, ein Monster zu werden, wenn es darauf ankäme, eines zu besiegen!