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Luminos Lite Beginnings

Als Simon zu seinem elften Geburtstag mit Geschenken überhäuft wird, tobt in Lumia-Loft längst ein ewiger Krieg. Sein Vater und König der Provinz Alan-Ko ist in den Konfliktregionen im Einsatz, während er als Prinz an der Soldatenakademie zu kämpfen und regieren lernt, um mit Achtzehn auf den Thron zu steigen und das Land in die Zukunft zu führen. Doch als König Erhard im Kriegsgetümmel verschwindet, sieht sich Simon mit der Realität deutlich früher konfrontiert. Überwältigt von den Umständen zieht er sich ein letztes Mal vor Amtsantritt in ein verwaistes Gotteshaus zurück und stimmt eine Melodie auf seiner Holzflöte an, während die Erde unter ihm langsam zu beben beginnt... https://www.wattpad.com/story/223286236-luminos-lite

d0mstr · Kỳ huyễn
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9 Chs

Kapitel 1: Des Prinzen eigene Welt - Equinox

Im Morgengrauen beträufelte Regen die abgestandene Kapelle. Das Holz der Sitzbänke weichte sich auf und nährte das Moos in ihrem Schatten. Flötengeflüster säuselte aus den Ritzen und Rillen des Daches und führte Eliza in die Stadtmitte von Alan-Ko. Am Bankenviertel vorbeimarschiert, hinter der güldenen Statue ihres Großvaters lehnte sie sich in die quietschende Tür. Ein Schwall aus Tönen und Akkorden umschmeichelte ihre Ohren.

Die Königin Grandia-Ko's lauschte dem wilden Spiel, wie sich Harmonie und Zwist abwechselten. Wie die Akkorde vom bedrückenden Moll in eine helle Phase des Dur überschwenkten, wie Traurigkeit und Frohsinn über ihre langen Wimpern tanzten und sie sich plötzlich auf einer grünen Wiese in endlosen Weiten befand. Verschneite Berge strahlten im Sonnenlicht und gaben das Funkeln an die blautiefen Meere weiter, der Wind rasselte durch die Gräser an dessen Halmen erste Knospen zu sprießen begannen. Als sie sich umdrehte, breitete sich eine Picknickdecke vor ihr aus und eine altbekannte männliche Stimme säuselte ihr ins Ohr, „komm kleiner Feger, Frühstückszeit."

Ohne Vorwarnung stoppte der Musikschaffende das Vorspiel und Eliza fiel zurück in den abgewetzten Schuppen. Er starrte den verwucherten Altar vor ihm an, in seinen Gedanken rekonstruierte er jede Strophe auf ihre Richtigkeit. Dann vergriff er sich im Ton und legte die Flöte beiseite.

„Zweimal zu hoch. Schon wieder…Mist!", die Gestalt kratzte sich am Nacken.

„Die dritte Symphonie nach Ambrosius?", fragte Eliza und wischte sich eine Träne aus dem Gesicht.

„Diesmal war es die vierte nach Eugenia. Aber du warst nah dran, sie haben viele Gemeinsamkeiten."

„Ich lerne dazu", entgegnete sie.

„Der Sprung von C-Moll auf D-Dur bei fünf Halbtonschritten ist mit dem krummen Fußstück kaum machbar", er schwenkte das Flötenstück im Staubschein.

„Ich finde du hast den Wechsel wunderbar aufgebaut. Um ehrlich zu sein, du hast mich sehr an jemanden erinnert."

Er ignorierte ihren Einwurf. „Hendricks war ein wahrer Meister. Fünf Jahre Übung und ich reiche immer noch nicht an ihn heran", schmunzelte er. „Sie macht es mir auch nicht leicht…das Mädchen…Aber bald bin ich soweit. Bald ist es gut genug. Nur noch ein paar Versuche. Dann kann niemand mehr behaupten, ich hätte mir den Platz im Orchester erkauft."

Am Rande der Szenerie wucherten blaue Blumen, Regentropfen perlten auf ihre Blüten und gleißten im faden Licht, das durch das Dachgeschoss strahlte.

„Mach dir keinen Kopf wegen fadenscheiniger Gerüchte, Simon. Alle freuen sich, wenn sie deine Auftritte miterleben."

„Alle, bis auf die, die es nicht tun", ergänzte er. „Sie haben doch recht Mutter. Ich muss mich als ihr Prinz beweisen, sonst werde ich sie nie erreichen…Vor allem dann nicht, wenn ich in zwei Jahren Vaters Platz einnehme…"

„Da ist sie wieder, deine Selbstgefälligkeit, getarnt als Aufopferung."

„Ich bin nicht hochmütig. Das sagst du nur, damit ich mich schlecht fühle."

„Du bist der arroganteste Prinz, den ich kenne", sie kniete nieder und umarmte ihn von hinten. „Da hat dein Vater ganze Arbeit geleistet."

„…Haben sie ihn inzwischen gefunden?", fragte Simon.

„Ein Aufklärungstrupp verfolgte seine Spuren bis nach Fimbul-Yu, aber…sie gerieten in einen Schneesturm und haben ihn verloren."

„Verdammt alter Mann. Warum bist du abgehauen?", er bückte sich nach vorne und presste Elizas Arme stärker an seine Brust.

„Sechzehn Jahre und schon erwachsen. Gestern noch hast du bei uns im Bett die Nächte verbracht…dein Aufstand beim Windeln wechseln verzeih ich dir bis heute nicht. Geschrien wie am Spieß der kleine Mann."

„Das lag ja wohl an dir. Jede normale Königin hätte das die Dienstmägde erledigen lassen!"

„Ich bin aber nicht normal, du Frechdachs!", sie kitzelte ihn am Bauch.

Er schreckte auf „Hey lass das! Stoooopp - nicht am Bauchnabel."

„Ich bin die Mutter meines Sohnes, das reicht wohl als Grund deinen Allerwertesten sauber zu halten."

„Du hast recht – du hast recht. Aufhören, bitte aufhören!"

Sie hörte auf. Und strich durch sein Haar.

„Du hast die Locken deines Großvaters. Jedes Mal, wenn er von der Jagd zurückkahm glänzte er wie ein goldener Kelch in der Mittagssonne.

Er wehrte sich, stattdessen packte sie ihn an beiden Schultern.

„Ich bin stolz auf dich. War ich immer. Werde ich immer sein. Also hör auf, deine Großmutter nachzuahmen und genieße dein Talent. Mach eine Pause, besuche den Unterricht und fange später noch einmal an. Du hast es nicht nötig dich selbst zu bemitleiden."

Simon mied Augenkontakt. „Wie war Großmutters Klavierspiel denn?"

„Größer und gewaltiger, als alles, was du dir vorstellen kannst. Niemand hat das Klavierspiel so perfektioniert wie sie, aber…mit der Zeit merkte man, wie frustriert sie war. Dass sie nie besser sein konnte, als jetzt in diesem Moment."

„Klingt nach einer Menge Selbstgefälligkeit, die du mir da unter die Nase reibst. Ich passe schon auf", schmollte Simon.

„Ich reibe es dir solange unter die Nase, bis du es endlich verstehst, du fleißige Biene. Deine Familie ist groß und wichtig, aber du musst nicht alles von alleine lösen. Deine Vorfahren waren talentiert, was nicht bedeutet, dass du uns irgendetwas beweisen musst. Geh raus auf die Bühne und hab Spaß. Mehr verlangen wir von dir nicht. Und wenn jemand ein Problem damit hat, werden sie meine schreckliche Seite kennenlernen."

„Du bist nicht schrecklich", er umarmte sie. „Ich wünschte bloß er wäre dabei. Die ganze Mühe war für den heutigen Tag bestimmt. Ich wollte, dass er mich sieht, verstehst du? Ihm beweisen, dass ich es kann."

Eliza drückte ihn fester an sich, „er wird kommen. Ganz sicher. Ich kenne Erhard, nichts ist wichtiger für ihn als dein Auftritt heute. Er hat sich für die letzten acht Aufführungen die Zeit genommen und er wird es auch bei dieser tun."

„…du hast recht", antwortete er.

„Wir halten ihm einen Sitzplatz frei, ja? Er wird nicht an dir vorbeikommen."

„Ja…bitte", winselte er.

„Mittig in der ersten Reihe. Alle werden ihn sehen, wie der Held zurückkehrt und die Bühne seinem Sohn ebnet."

„…", schluchzte er.

„Hau ihn aus den Socken, fleißige Biene."

Am Abend füllte sich das Staatsorchester der Hauptstadt Alan-Ko mit zahlreichen Besuchern aller sozialen Schichten.

Prunkvoll unter sternenklarem Nachthimmel ragte die Alan-Philharmonie wie ein Kolosseum am Westende der Stadt in Höhe und Breite. Lehmziegel um Mauerstein stapelte sich das Gebäude wie ein Tonverstärker von dem Bühnenauge bis zu den höheren Plätzen. Fackeln und eingeglaste Lichter erhellten den Zuschauerkreis und warfen ihr Rampenlicht auf das siebzig Musiker starke Orchester.

Die Nacht verzog ihre Lippen, presste sie auf Trompeten, Oboen und Hörner, während ihre Finger über Violinen, Harfen und Pauken glitten. Der silberne Glanz des Mondes stand aufrecht, als Simon sein Solo-Streich vollzog. Das Publikum fiel in Trance, nahm den Mondschein gar zum Anlass in eine neue Welt einzutauchen. Simon verband die Sterne zu einem kosmischen Bild, in dem alle Zuhörer umherschwebten. Sie erkundeten die weite tiefschwarze Welt, ausgeleuchtet von kleinen weißgelben Punkten der Hoffnung. Sie schlenderten am schwarzen Abyss vorbei und folgten der Sternenstaubstraße in unerforschte Gefilde. Auf und ab, Landschaften, die keiner Erklärung bedurften, brannten sich in ihre Gedächtnisse ein.

Eine Stille später war alles vorbei. Simon blickte in die tränengefüllten Augen seiner Mutter und ließ den Sternenklang verblassen. Eingeholt von der bitteren Nachricht des Botschafters platschten auch seine Gefühle auf den Boden.

Die Zuschauerschaft flehte in der Verwunderung nach einer Zugabe und bekam daraufhin Simons ganze Musikgewalt zu spüren. Nach kurzer Pause setzte er den Mund auf das feuchte Holz, um ein Klagelied des Abschieds, eine Symphonie der Trauer anzustimmen.

„Sieh mir zu und vergiss mich nicht. Papa…"

In schwarz gekleidet lehnte sich Simon an den Thron seines Vaters an. Eliza gesellte sich zu ihm auf den roten Teppich.

„So ruhig war es hier drin schon lange nicht mehr", sagte Eliza.

„Du meinst gestern? Oder letzte Woche? Du warst öfter alleine hier drin als zusammen mit irgendjemand", sagte Simon.

„Auch wieder wahr…Warum habe ich bloß einen Idioten zum König gemacht?"

„So schlimm ist er dann auch nicht…"

Sie rümpfte die Nase, „morgen ist es also soweit. Zwei Jahre früher als geplant. Ich habe Marie und Anastasia beordert dein Gepäck in der Akademie abzuholen. Willkommen zurück", sie gab ihm ein schiefes Lächeln.

„Es gibt so vieles, was ich noch entdecken wollte. Was ich nicht kann."

Eliza nahm seine Hand.

„Als wir im Winter durch Fimbul-Yu gestapft sind, hat mich ein Klassenkamerad gefragt, ob ich überhaupt bereit bin König zu werden oder ob ihr mich dazu zwingen würdet…"

„Du hast ihn nicht ernst genommen oder?"

„Ich habe ihn mit Schnee beworfen. Ich war mir sicher, dass er nur neidisch auf mich war. Mir ist es jetzt ein bisschen klarer geworden. Ich habe keine Wahl, weil sie alle auf mich warten. Weil sie alle ihre Hoffnung in mich setzen bin ich jetzt hier. Ich bin ihr Auserwählter, ob ich will oder nicht."

„Simon-"

„Das bedeutet aber nicht, dass ich mich weigere. Auf keinen Fall, ich liebe euch und dieses Land. Mein ganzes Leben habe ich mich auf diesen Moment vorbereitet. Ich finde, darüber könnte ich ein wenig stolzer sein", er schenkte Eliza ein Lachen.

Sie nahm die Schuld auf sich und weinte in seinem Schoß.

„Ich weiß, dass du das schaffst. Du bist mein Junge – unser Junge. Ich werde den ganzen Weg mit dir bestreiten, dich unterstützen wo es deine alte Mutter nur kann. Ich lasse dich nicht allein. Wir schaffen das."

Simon strich ihr durch das Haar. „Hey alte Mutter, ich…möchte mir noch einmal die Beine vertreten. Du weißt schon. Bevor…"

Sie begleitete ihn bis an die Schlossmauer, von wo aus der Goldjunge den Hügel in die Innenstadt hinuntertappte.

„Pass auf dich auf", sagte sie.

„Bis gleich."

Der Abgang mündete an der immer gleichen Stelle, doch jedes Mal schien sich Alan-Ko ein wenig mehr zu verändern. Kerzen wurden in Laternen gesperrt und leuchteten ihm den Weg zur Handelsstraße. Schießpulver verkaufte man hier zuhauf, sei es für neue Handfeuerwaffen oder den Durchschlag mit der Kanonenkugel. Auch Eisen schmolz man in Schienenform, da sich im Norden und Süden an ersten autonomen Transportmitteln versucht wurde. Seltener fand man Ausgaben der göttlichen Lehre des Luminos. In Schulen lehrte man der Arbeiterklasse zwar den Umgang mit Zahlen und Buchstaben, doch der Glaube fiel der Bewunderung des Auserwählten anheim.

„Gepriesen seid ihr, eure Hoheit!"

„Unser König!"

„Lang lebe König Simon!"

„Euer Spiel im Orchester war traumhaft schön."

Simon ging klassisch mit den Lobeshymnen um, grinsen und winken. Massenbeschwichtigung, die ihm seit seiner Kindheit eingehämmert wurde. Plötzlich aber flog ein Ball auf seine Zehenspitzen und eine Junge gleich hinterher.

„Anton, komm zurück!", die Mutter des Jungen zog mehr Aufmerksamkeit auf sich, als nötig gewesen wäre.

„Mein Ball!"

Simon ging in die Knie und reichte ihm den Ball.

„Entschuldigt, mein Prin- eure Hoheit. Ich bin zutiefst beschämt", seine Mutter hechtete und flehte ihn auf allen Vieren an.

„Nichts davon ist eine Entschuldigung wert. Bitte steht auf", sagte Simon.

„Mama, wer ist das?", fragte der Junge.

„Unser neuer König, mein Engel. Zeig ihm deinen Respekt."

„Zukünftiger König. Noch bin ich nicht so wichtig, haha", sagte Simon.

„Neu...", sagte der Junge, „Bist du dann besser als der Alte?"

Seine Mutter pfiff ihn zurück und verschwand in der angesammelten Menschenmasse. Simon aber starrte nur weiter in dieselbe Richtung. Ohne eine Miene zu verziehen, ohne sich zu bewegen.

Minuten später durchwanderte er das Bankenviertel und badete im Schatten seines Großvaters.

„Hier kommt dein einziger Gast, Wolkenmann. Dein einziges Kind…"

Das mit Stahlträgern und Zement umrandete Gotteshaus versteckte sich heute im Zwielicht einer Wolkendecke. Simon setzte sich an seine gewohnte Stelle vor dem Altar, die als Einzige nicht von Unkraut überfallen wurde. Wie jedes Mal pflückte er eine blaue vertrocknete Blume vom Rand der Kapelle, schloss sie in seine Hände ein und betete…

Was du mir gibst, so geb' ich dir,

mein Leib, mein Lied, meine Königstracht,

lege Hoffnung und Zuversicht vor deine Tür,

und warte bis das Licht entfacht.

Jedes Tier,

und jede Nacht.

Amon.

Danach stimmte er eine Strophe seines eigen komponierten Werkes an. Lange ließ er sich von Vorreitern der Musik inspirieren und lange schien sein Ziel, eine neue Holzblas-Ikone zu werden, in ungreifbarer Nähe zu liegen. Dass sein Leben glücklich verlief verdankte er vielen. Und dieses Glück wollte er mit ihnen teilen. Er kramte jeden Vers, jede Strophe heraus, vertauschte Noten und ganze Absätze. Verquirlte Absätze reihten sich ein, neben perfekt abgestimmten Übergängen. Selten genoss er die Freiheit seines Erfindergeistes mehr als in diesem Moment, als er voller Überzeugung sein Magnum Opus zu erschaffen versuchte. Eine Liedgestalt mächtig genug, allen Menschen auf seinem Wege zu danken. Mit ihnen sein Leben zu teilen.

Seine Ansprüche wuchsen, sein imaginäres Notenblatt konnte keine drei Zeilen mehr aufnehmen. Auf dem Höhepunkt seine Reise fiel er zurück auf das kalte Unkraut. Stützte sich mit beiden Ellenbogen ab und prallte wieder und wieder auf die knarzenden Dielen. Denn aus dem Zwielicht wurde Dunkelheit. Ein Zittern, ein Schlottern, ein Rumoren, dass sich in die Tiefe seiner Seele bebte und ihm verdeutlichte, wie menschlich doch ein König war…