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#4 Im Schatten des Drachenreichs

Nachdem die Kreaturen sich zurückgezogen hatten, führte Kael'thar Danny durch das schimmernde Tal zu einer Anhöhe, von der aus man einen atemberaubenden Blick auf das Land hatte. Es war fast surreal – das Zusammenspiel aus leuchtenden Kristallen, weiten Ebenen und den schattenhaften Bergen in der Ferne.

Danny sank erschöpft auf einen großen Stein, während Kael'thar sich in einer eleganten Bewegung neben ihm niederließ. Der Drache wirkte fast beruhigend in seiner Präsenz, sein Atem langsam und gleichmäßig.

„Das war … intensiver, als ich erwartet hatte," sagte Danny, seine Stimme noch immer etwas zittrig.

„Das war es," erwiderte Kael'thar. „Aber du hast dich behauptet. Deine Essenz hat sich offenbart, und das ist der erste Schritt, um sie zu verstehen und zu kontrollieren."

Danny starrte auf seine Hände, die nun wieder ganz normal aussahen. Die goldene Energie war verschwunden, doch er konnte noch einen Nachhall davon spüren, wie eine sanfte Wärme tief in seiner Brust.

„Es fühlt sich seltsam an," murmelte er. „Wie … als hätte ich etwas entdeckt, das die ganze Zeit da war, ich es aber nicht sehen konnte."

Kael'thar nickte. „Die meisten Menschen tragen eine Essenz in sich, doch nur wenige lernen, sie zu nutzen. Es erfordert Mut, sich dem Unbekannten zu stellen – und noch mehr, an sich selbst zu glauben."

Danny sah den Drachen an, aber die Worte klangen wie ein Echo aus seinem eigenen Inneren. Sein Blick glitt über die weite Landschaft, die sich vor ihm ausbreitete. Ein Ort voller Magie, Geheimnisse und Gefahren – so anders als die Welt, die er kannte.

Und doch holten ihn die Schatten seiner Vergangenheit ein.

Ein Rückblick in die Kindheit

Er erinnerte sich an die endlosen Nachmittage, die er allein in seinem Zimmer verbracht hatte, während andere Kinder draußen spielten. Nicht, weil er nicht wollte – sondern weil er nicht wusste, wie.

Seine Eltern waren stets distanziert gewesen. Sein Vater hatte kaum ein Wort mit ihm gewechselt, außer um seine schulischen Leistungen zu kritisieren. „Du musst besser sein, Danny," hatte er immer gesagt, wenn Danny ihm stolz eine Arbeit mit einer guten Note zeigte. „Das reicht nicht, wenn du wirklich etwas erreichen willst."

Seine Mutter hatte ihn oft getröstet, aber ihre Worte hatten die Leere nicht gefüllt.„Dein Vater meint es nur gut. Er will, dass du stark wirst."Doch Danny hatte sich nie stark gefühlt.

Er dachte an die erste große Enttäuschung, die ihn geprägt hatte: Ein Fußballspiel, bei dem er als Torwart eingesetzt wurde. Es war seine Chance, zu beweisen, dass er dazugehören konnte. Doch als der entscheidende Ball auf ihn zuflog, hatte er gezögert. Der Ball war ins Netz gegangen, und sein Team hatte verloren. Die Gesichter seiner Mitspieler, voller Enttäuschung, hatten sich in sein Gedächtnis gebrannt.

Seitdem hatte er immer gezögert, wenn es darauf ankam. Er hatte sich selbst eingeredet, dass es besser war, nicht zu versuchen, als zu versagen.

Zurück in der Gegenwart

Die Luft im Drachenreich fühlte sich anders an – schwerer, aber auch lebendig. Danny fragte sich, ob diese Welt ihm vielleicht die Chance bot, die er immer gesucht hatte.

„Warum jetzt?" fragte er plötzlich, mehr zu sich selbst als zu Kael'thar. „Warum habe ich jetzt diese … Essenz gefunden? Warum nicht früher?"

Kael'thar beobachtete ihn mit einem Ausdruck, der fast väterlich wirkte. „Vielleicht hat dir die Welt, aus der du kommst, nie die Gelegenheit gegeben, sie zu entdecken. Oder vielleicht hast du nicht hingesehen. Aber hier, in dieser Welt, gibt es keinen Raum für Zweifel. Deine Essenz musste sich offenbaren – sonst hättest du nicht überlebt."

„Klingt, als hätte ich keine Wahl," sagte Danny trocken.

„Wahl hast du immer," entgegnete der Drache. „Doch manchmal braucht es extreme Umstände, um uns zu zeigen, wer wir wirklich sind."

Danny ließ die Worte auf sich wirken. Er dachte an die vielen Momente in seinem Leben, in denen er sich klein und machtlos gefühlt hatte. An die Gelegenheiten, die er nicht genutzt hatte, aus Angst zu scheitern.

Doch diesmal war es anders. Er hatte keine Wahl gehabt, ja, aber er hatte trotzdem gehandelt. Und es hatte funktioniert.

Ein Hauch von Hoffnung

Als die Sonne am Horizont unterging, tauchte das Land in ein warmes, goldenes Licht. Danny saß still, das Knistern des Feuers, das Kael'thar mit einem Atemstoß entzündet hatte, beruhigte ihn.

„Was kommt als Nächstes?" fragte er schließlich, seine Stimme leiser als zuvor.

Kael'thar blickte in die Flammen. „Du wirst trainieren, Danny. Nicht nur deinen Körper, sondern auch deinen Geist. Deine Essenz ist mächtig, aber sie ist unberechenbar. Ohne Disziplin könnte sie dich zerstören."

Danny nickte langsam. „Und wenn ich scheitere?"

„Dann wirst du es erneut versuchen," sagte Kael'thar schlicht. „Das ist der Unterschied zwischen dem, der Erfolg hat, und dem, der scheitert: Der eine steht immer wieder auf."

Zum ersten Mal fühlte Danny etwas, das er lange nicht gespürt hatte: Hoffnung. Es war klein, wie ein Funke, der in der Dunkelheit flackerte. Aber es war da, und er hielt sich daran fest.

„Also gut," sagte er leise. „Ich bin dabei."

Kael'thar ließ ein leises Grollen hören, das fast wie ein Lachen klang. „Dann ruh dich aus, Danny. Morgen beginnt dein Weg."

Danny ließ den Blick über die weiten Ebenen des Drachenreichs schweifen, während Kael'thar sich ruhig neben ihm niederließ. Die Welt um ihn herum wirkte lebendig, doch in seinem Kopf wirbelten Gedanken und Erinnerungen durcheinander, die er lange zu vergessen versucht hatte.

Die Stimmen seines Vaters und seiner Lehrer drangen in seinen Verstand wie unwillkommene Eindringlinge:

„Du bist zu verträumt, Danny. Bleib auf dem Boden der Tatsachen."

„Wenn du dich nicht anstrengst, wirst du es im Leben zu nichts bringen."

„Andere Kinder schaffen das – warum du nicht?"

Er hatte die Worte immer wieder gehört, bis sie sich wie Narben in sein Selbstbild gegraben hatten.

Erinnerung: Der Schatten der Erwartungen

Danny war 14 gewesen, als sein Vater ihn zu einem Elterngespräch begleitet hatte. Die Lehrerin hatte höflich, aber bestimmt erklärt, dass Danny zwar intelligent sei, aber es ihm an Einsatz fehle.

„Er könnte so viel mehr erreichen," hatte sie gesagt, während sein Vater mit verschränkten Armen neben ihm saß. „Aber er scheint sich einfach nicht anzustrengen."

Sein Vater hatte ihn daraufhin mit einem Blick angesehen, der mehr Enttäuschung als Ärger ausdrückte. Das war fast schlimmer gewesen. Auf der Heimfahrt hatte er geschwiegen, doch als sie zu Hause ankamen, platzte es aus ihm heraus.

„Danny, ich habe dich nicht großgezogen, damit du dein Leben vergeudest! Du hast Potenzial, verdammt noch mal, aber du machst nichts daraus!"

Danny hatte versucht, sich zu erklären, doch die Worte waren ihm im Hals stecken geblieben. Sein Vater hatte nur den Kopf geschüttelt und war gegangen, ihn mit der Leere seiner eigenen Gedanken zurücklassend.

Seit diesem Tag hatte Danny gelernt, sich anzupassen. Er hatte sich in der Schule bemüht, so unauffällig wie möglich zu sein – weder herausragend noch ein Versager. Gerade genug, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Es war sicherer gewesen, keine Risiken einzugehen, als zu scheitern.

Erinnerung: Die flüchtige Freundschaft

Auch in Freundschaften hatte Danny sich zurückgehalten. Er erinnerte sich an Chris, seinen besten Freund aus der Kindheit. Sie hatten jeden Nachmittag zusammen gespielt, bis Chris eines Tages mit einer Gruppe anderer Jungen auf ihn zugekommen war.

„Wir wollen zum Fluss," hatte Chris gesagt. „Springst du mit uns ins Wasser?"

Danny hatte gezögert. Das Wasser war tief, und er konnte kaum schwimmen. „Ich weiß nicht … vielleicht später."

Die anderen Jungen hatten gelacht, und Chris war mit ihnen gegangen. Seitdem war ihre Freundschaft nie wieder dieselbe gewesen. Danny hatte sich eingeredet, dass es besser war, allein zu sein, als immer wieder zu enttäuschen.

Zurück in der Gegenwart

Danny schloss die Augen und atmete tief durch. Hier, in dieser Welt, war alles anders – und doch kamen die alten Unsicherheiten zurück. Die Essenz in ihm, diese goldene Energie, fühlte sich so fremd an. Sie war mächtig, ja, aber was, wenn er sie nicht kontrollieren konnte? Was, wenn er erneut versagte?

„Warum jetzt?" murmelte er und sprach die Frage diesmal klar aus. „Warum habe ich jetzt diese … Essenz gefunden? Warum nicht früher? Warum konnte ich nicht … besser sein?"

Kael'thar wandte ihm seinen großen Kopf zu, seine goldenen Augen funkelten im Licht der untergehenden Sonne. „Die Welt, aus der du kommst, hat dich geprägt, Danny. Aber sie hat dich nicht definiert. Die Vergangenheit mag dich geformt haben, aber sie ist nicht das, was du bist."

Danny lachte bitter. „Das sagen die Leute immer. Aber ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, mich klein zu fühlen. Wie soll ich jetzt einfach … größer werden?"

„Indem du es wagst," erwiderte Kael'thar. „Du hast heute bewiesen, dass du mehr bist, als du glaubst. Die Essenz in dir war immer da, Danny, aber du hast sie nicht gesehen, weil du dich selbst nicht sehen wolltest. Hier, in dieser Welt, hast du keine Wahl. Du musst dich stellen – nicht den Schatten, sondern dir selbst."

Erinnerung: Ein seltener Moment der Stärke

Eine andere Erinnerung drängte sich plötzlich in den Vordergrund. Es war sein letzter Tag in der Schule gewesen. Ein jüngerer Schüler war in eine Auseinandersetzung mit einer Gruppe älterer Jungen geraten. Sie hatten ihn in die Enge getrieben, über ihn gelacht und ihn geschubst.

Danny hatte zugesehen, unfähig, sich einzumischen – bis der Junge angefangen hatte zu weinen. Irgendetwas in Danny war damals zerbrochen. Er hatte sich zwischen die Gruppe und den Jungen gestellt, seine Hände zittrig, sein Herz hämmernd.

„Lasst ihn in Ruhe," hatte er gesagt, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.

Die älteren Jungen hatten gelacht, aber sie waren schließlich gegangen. Und obwohl Danny Angst gehabt hatte, war er stolz auf sich gewesen. Es war einer der wenigen Momente, in denen er sich mutig gefühlt hatte.

Ein neuer Anfang

„Ich habe Angst," sagte Danny schließlich. Es fühlte sich befreiend an, die Worte auszusprechen. „Was, wenn ich scheitere? Was, wenn ich mich selbst enttäusche?"

Kael'thar neigte den Kopf, und für einen Moment wirkte der mächtige Drache fast sanft. „Scheitern ist unvermeidlich, Danny. Es ist Teil des Lernens, Teil des Lebens. Doch was dich ausmacht, ist, dass du wieder aufstehen kannst."

Die Worte des Drachen hallten in Danny nach. Vielleicht war es an der Zeit, sich seinen Ängsten zu stellen – nicht, weil sie verschwanden, sondern weil sie ihn nicht länger kontrollieren sollten.

„Also gut," sagte er leise. „Ich bin dabei."

Kael'thar nickte zufrieden. „Dann ruh dich aus, Danny. Morgen beginnt dein Weg."