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Das Stigma des Unerwünschten

1.

Unverständnis. Ärger. Verwirrung. Ungerechtigkeit.

Akio saß in einer Ecke seines Zimmers, starrte auf den Boden und spürte, wie diese Gefühle in ihm brodelten. Nichts ergab für ihn Sinn. Er hatte Kevin, den schlimmsten Typen der Schule, fertig gemacht – und dennoch hatte ihm niemand gedankt. Stattdessen sahen sie ihn alle mit Entsetzen an, tuschelten hinter seinem Rücken oder wichen ihm aus. Was war ihr Problem?

Doch war das überhaupt noch wichtig? Akio hatte verstanden: Menschen zeigten keine Dankbarkeit, selbst wenn man ihnen die schlimmsten Hindernisse aus dem Weg räumte. Er schüttelte den Kopf. Unverständnis. Sie hätten doch froh sein müssen! Ärger. Warum war niemand auf seiner Seite? Verwirrung. Wieso schienen sie ihn plötzlich für das Problem zu halten? Kevin war der Schuldige, nicht er. Ungerechtigkeit.

Doch was war mit seinen Freunden? Würden sie verstehen, warum er so gehandelt hatte? Vielleicht, wenn er es ihnen erklärte. Doch diese Gedanken wurden unterbrochen, als Akios Mutter in sein Zimmer kam. In ihrer Hand hielt sie ein offizielles Schreiben. Akio wusste sofort, was es bedeutete.

Kiyomi hielt den Brief hoch.

K: „Was ist das, Akio?"

A: „Ein Schulverweis."

K: „Das sehe ich."

A: „Warum fragst du dann?"

K: „Wieso hast du es getan? Ist dir klar, dass Kevin jetzt im Krankenhaus ist?"

A: „Der hat noch Glück gehabt."

K: „Was soll das heißen, Akio? Du wolltest ihn doch nicht… töten?"

A: „Doch. Ich wollte ihn tot sehen."

K: „AKIO!! Was ist nur los mit dir?"

Kiyomi versuchte ihre Fassung zu bewahren, doch sie fühlte sich innerlich zerrissen. Der Gedanke, dass ihr eigener Sohn zu solchen Extremen bereit war, ließ sie frösteln. Sie wusste nicht, ob sie enttäuscht, wütend oder einfach nur fassungslos war. Sie atmete tief ein, um nicht die Kontrolle zu verlieren.

 

2.

Kiyomi setzte sich auf Akios Bett und sprach mit ernster Stimme:

K: „Wir haben doch über Zorn und Gewalt geredet, Akio. Ich dachte, du hättest es verstanden."

A: „Habe ich auch! Es war Kevins Schuld!"

K: „Kevin? Du hast ihn nicht nur geschlagen, Akio. Du hast deine Magie gegen ihn eingesetzt!"

A: „Ich wollte ihm nur eine Lektion erteilen."

K: „Eine Lektion? Akio, du hättest ihn umbringen können!"

Akio wollte widersprechen, doch Kiyomi zeigte ihm den Brief. Ihr Finger zitterte, als sie auf eine besonders markante Zeile deutete.

K: „Sie haben geschrieben, dass du Gravitationsmagie eingesetzt hast. Verstehst du, was das bedeutet?"

A: „Nein, warum?"

K: „Gravitationsmagie ist nicht nur verboten, sie darf nicht einmal existieren. Es gibt keinen Weg, wie wir das vertuschen können."

Kiyomi erklärte Akio die Konsequenzen: Die Regierung würde ihn zur Magieimpfung zwingen, und es gäbe keine Alternative. Eine Impfung, die das Magieorgan schrumpfen ließ, bis die Fähigkeit verschwand. Akio sah sie ungläubig an.

A: „Aber das ist nicht fair! Ich habe es mir nicht ausgesucht!"

K: „Ich weiß, Akio. Aber die Regierung interessiert das nicht."

In diesem Moment spürte Kiyomi, wie schwer die Last ihrer Entscheidung war. Sie konnte ihn nicht schützen, nicht vor dieser Wahrheit, nicht vor den Konsequenzen. Doch eine Sache wusste sie: Wenn sie jetzt nichts tat, würden sie ihn holen.

Kiyomi verließ das Zimmer, ihre Gedanken wirbelten. Sie erinnerte sich an Ferruccio und daran, dass er einmal von einer Gruppe gesprochen hatte, die gegen das System kämpfte. Die Rebellen. Vielleicht war das die einzige Chance, die Akio blieb.

 

Kiyomi setzte sich erschöpft in die Küche, starrte auf den Brief in ihrer Hand und ließ die Ereignisse des Tages Revue passieren. Ihr Herz fühlte sich schwer an, als hätte die Erkenntnis, was ihr Sohn getan hatte, jede Hoffnung erstickt. Sie legte den Brief auf den Tisch und massierte ihre Schläfen.

„Wie konnte es nur so weit kommen?", dachte sie. Akios Worte hallten in ihrem Kopf wider: „Ich wollte ihn tot sehen." Sie hatte gewusst, dass er wütend war, aber der Gedanke, dass er tatsächlich versucht hatte, jemanden zu töten, war eine Last, die sie kaum tragen konnte.

„Ich verstehe es ja...", murmelte sie leise zu sich selbst. Sie verstand die Wut, den Drang, sich zu verteidigen. Sie erinnerte sich an ihre eigene Jugend, wie oft sie von einem brennenden Zorn angetrieben wurde, der sie in Schwierigkeiten brachte. Doch sie konnte Akios Handlungen nicht rechtfertigen. Die Konsequenzen waren zu schwerwiegend, und das Schlimmste daran war, dass er seine eigenen Fehler nicht zu erkennen schien.

Kiyomi starrte aus dem Fenster. Die Nachmittagssonne warf einen warmen Schein auf das Dorf, aber für sie fühlte es sich kalt und trostlos an. „Was soll ich jetzt nur tun? Er kann so nicht weitermachen. Er braucht Bildung. Er braucht eine Zukunft."

Doch die Möglichkeiten schienen ihr aus den Händen zu gleiten. Die Schule war keine Option mehr, und jede andere Einrichtung würde ihn aufgrund seines Verhaltens ablehnen. Ein Umzug? Unmöglich. Sie konnten nicht alles hinter sich lassen, nur um neu anzufangen. „Akio würde den gleichen Ärger auch woanders verursachen."

Dann fiel ihr etwas ein. Ein Funke Hoffnung. Die Rebellen.

Kiyomi erinnerte sich an Geschichten von Ferruccio, über eine Gruppe, die sich gegen die strengen Regeln der Regierung stellte. Sie waren keine Verbrecher, keine „verlorenen Seelen", sondern Menschen, die an eine andere Art von Gerechtigkeit glaubten. Und sie waren unabhängig. Sie würden Akios Vorgeschichte nicht in ihre Entscheidung einfließen lassen.

Vielleicht ist das der Weg", murmelte sie. „Vielleicht können sie ihm etwas beibringen, das ich nicht kann."

Doch der Gedanke beruhigte sie nicht. „Selbst wenn er dort lernen könnte... Was ist mit der Magieimpfung?" Akio hatte bereits Gravitationsmagie eingesetzt. Es war keine Frage mehr, ob die Regierung davon wusste – sie wusste es bereits. Und Kiyomi konnte es sich nicht leisten, ihn dagegen zu schützen. Sie war keine Unschuldige, keine reine Bürgerin. Ihre eigene Vergangenheit war alles andere als sauber, und wenn sie versuchte, die Regierung zu täuschen, würde es beide in den Ruin treiben.

Ein leiser Seufzer entwich ihr, als sie sich aufrichtete.

Ich muss ihn auf den richtigen Weg bringen, auch wenn es schwer ist. Die Rebellen sind die einzige Chance, die er hat. Aber diese Magie... Akio wird die Impfung über sich ergehen lassen müssen. Es gibt keinen anderen Weg."

Ihr Blick verhärtete sich.

Ich werde mit den Rebellen sprechen. Sie werden ihn aufnehmen müssen, ob sie wollen oder nicht. Und Akio wird verstehen, dass dies keine Strafe ist, sondern eine zweite Chance. Er hat nur noch diese eine Möglichkeit."