Das Dorf Qingquan strahlte nach dem Regen die kühle Frische des Spätherbstes aus.
Gu Jiao, schweißgebadet, lief jemandem hinterher bis zum Dorfeingang: „Jungmeister Xiaoqin – Jungmeister Xiaoqin –"
Platsch!
Sie rutschte aus und fiel mit dem Gesicht voran auf den nassen Boden.
Die Pferdekutsche vor ihr fuhr davon und bespritzte ihr Gesicht mit Schlamm!
„Hahahaha!"
Die umstehende Menge brach in Gelächter aus.
In ihrem Dorf war Gu Jiao das Gespött der Leute, denn ihr Mann war ein Krüppel und trotzdem missachtete sie ihren pflichtbewussten Ehemann und lief immer Jungmeister Xiaoqin aus der Stadt nach.
Wer war Jungmeister Xiaoqin überhaupt? Sein Vater hatte einen beeindruckenden Rang, er selbst war ein Gelehrter und unbestreitbar gutaussehend. Warum sollte er auch nur einen Blick auf eine Frau werfen, die bereits wie ein alter Schuh behandelt wurde?
„Eine Kröte versucht, das Fleisch eines Schwans zu essen!"
„Ganz genau! Sie sollte in den Spiegel schauen. Als ob Jungmeister Xiaoqin sie je begehren würde!"
„Alter, abgetragener Schuh!"
„Hässliches Monster!"
„Dummkopf!"
Gu Jiao kochte vor Wut über die Beleidigungen, mit Händen in den Hüften, entgegnete sie hitzig: „Ihr... ihr dürft mich nicht beleidigen..."
Ein Kind sprang hervor: „Aber wenn doch? Dummkopf, Dummkopf, Dummkopf! Hässliches Monster, hässliches Monster, hässliches Monster!"
Voller Wut und Demütigung setzte Gu Jiao an, das Kind zu packen, stolperte aber und fiel ins Wasser...
Auf dem kühlen Grund des Sees öffnete eine Frau, die anscheinend das Bewusstsein verloren hatte, plötzlich ihre Augen.
Was war passiert? War sie nicht bei einem Flugzeugabsturz während einer Mission gestorben, bei der das Flugzeug auf einem Eisberg zerschellte? Wie konnte sie im Wasser landen?
Gu Jiao versuchte verzweifelt, ans Ufer zu schwimmen.
Durch den Sturz fühlte sie sich vielleicht kraftlos.
Als es ihr schließlich gelang, sich ans Ufer zu schleppen, war sie kurz davor, in Ohnmacht zu fallen.
Die Dorfbewohner, denen das Schauspiel mit der ertrinkenden Gu Jiao nicht mehr belustigte, hatten vor, sie mit Stangen herauszufischen, doch sie tauchte von allein wieder auf. Die Menge tauschte Blicke aus und zerstreute sich mit einem Zischen.
Gu Jiao, verwirrt über die gesamte Situation, sah, wie sich eine Gruppe merkwürdig gekleideter Menschen zerstreute und flüchtete.
Sie lag am kalten Boden, wischte sich die Wassertropfen vom Gesicht ab und erstarrte plötzlich.
Ungläubig betrachtete sie ihre eigenen Hände.
Es waren die Hände eines vierzehn- oder fünfzehnjährigen Mädchens. Sie war achtundzwanzig, warum hatte sie also solch kleine Hände?
Sie, die in der Welt der Spezialagenten als Pflegekönigin galt, legte großen Wert auf ihre Hautpflege. Aber diese Hände waren von Frostbeulen übersät und teilweise sogar rissig.
Bald erkannte Gu Jiao, dass sich nicht nur ihre Hände, sondern ihre gesamte Statur sowie ihre Kleidung stark von früher unterschieden.
Ein waghalsiger Gedanke blitzte durch Gu Jiaos Verstand.
Sie beugte sich über das Wasser, um ihr heutiges Aussehen zu betrachten, wich aber fast vor Schreck ins Wasser zurück.
Was war das für ein Farbklecks?
Gu Jiao schöpfte etwas Wasser und wusch die billige Schminke von ihrem Gesicht. Doch es wurde noch schlimmer: Ihr Gesicht war gelblich und abgemagert, und über ihre linke Wange bis zum Augenwinkel erstreckte sich ein großer roter Fleck.
In ihrem früheren Leben hatte Gu Jiao drei Tage lang unter einem winzigen Pickel gelitten. Jetzt, mit einem Gesicht, das den Titel des hässlichsten Antlitzes der Epoche hätte gewinnen können, wollte sie am liebsten auf der Stelle sterben!
„Übrigens, wo bin ich hier? Und in welcher Zeit bin ich?"
Während sie sprach, pochte ihr Kopf schmerzhaft und eine Flut von Erinnerungen, die ihr nicht eigen waren, überrollte sie plötzlich.
Es stellte sich heraus, dass sie in eine Dynastie gewandert war, die es in der Geschichte nicht gab. Das Dorf hieß Qingquan und lag am Fuß des Qingquan-Berges.Die Person, die sie eigentlich sein sollte, trug ebenfalls den Namen Gu Jiao und war das einzige Kind der dritten Familie des Gu-Klans.
Der alte Meister Gu war in seiner Jugend ein Gelehrter gewesen und hatte als Kind die kaiserlichen Prüfungen bestanden. Er wurde zum Lizheng des Dorfes Qingquan ernannt und bekleidete dieses Amt schon viele Jahre lang. Das Dorf Qingquan war arm, und die Position des Lizheng brachte nicht viel Geld ein, aber zumindest hungerten sie nicht.
Der alte Meister hatte drei Söhne und eine verheiratete Tochter. Der älteste Sohn, Gu Changhai, hatte mit der Zhou-Familie einen Sohn und eine Tochter; der zweite Sohn, Gu Changlu, hatte zwei Söhne mit der Familie Liao.
Die ersten beiden Zweige der Familie florierten, doch beim dritten Zweig schien es, als wären sie verflucht und könnten keine Kinder bekommen.
Schließlich wurde Gu Jiao geboren, aber sie war ein Mädchen, hässlich und von Natur aus schwach im Geiste.
Nach den Worten der Dorfbewohner war sie eine Fehlproduktion, nein, sie war sogar so unerwünscht, dass man Menschen bezahlen musste, um sie loszuwerden!
Seit Gu Jiaos Geburt gab es in diesem Familienzweig keine weiteren Nachkommen mehr.
Allmählich verbreiteten sich im Dorf Gerüchte, die besagten, dass Gu Jiao Unglück bringe und das Glück, Söhne in der dritten Familie zu haben, vertriebe.
Zunächst nahm die Familie Gu diese Gerüchte nicht ernst, aber nachdem Gu Jiaos Eltern kurz nacheinander gestorben waren, waren sie überzeugt, dass dieses Kind tatsächlich vom Unglück verfolgt war.
Die Familie Gu versuchte, Gu Jiao durch Nutzung ihrer Kontakte zu verheiraten. Doch wer würde es wagen, sie zu heiraten?
Wie es der Zufall wollte, fand Gu Jiao eines Tages am Eingang des Dorfes einen Mann, der vor Hunger ohnmächtig geworden war, und brachte ihn zu sich nach Hause.
Während Gu Jiao die Erinnerungen in ihrem Kopf ordnete, betrat sie die verfallene, strohbedeckte Hütte im Westen des Dorfes.
Das war jetzt ihr Zuhause.
Hiss-
Auf dem Weg dorthin verspürte sie einen stechenden Schmerz am Hinterkopf. Gu Jiao berührte die Stelle, und ihre Hand wurde blutig.
Sie hatte wahrscheinlich früher am Tag unter Wasser den Kopf an einem Stein gestoßen und sich dabei die Wunde zugezogen. Die Blutung war stark, sie musste so schnell wie möglich gestoppt werden.
Mit diesen Gedanken betrat Gu Jiao den Innenhof ihres Hauses.
Es als Hof zu bezeichnen, war allerdings eine Übertreibung; es handelte sich nur um einen kleinen offenen Raum, der von einem Zaun umgeben war. Die kleine strohbedeckte Hütte hatte neben dem Hauptteil nur zwei Zimmer. Das etwas größere Zimmer auf der Ostseite gehörte Gu Jiao.
Und dieses Zimmer war sogar kleiner als der begehbare Kleiderschrank, den sie in ihrem früheren Leben gehabt hatte.
Was für ein bedauernswerter Zustand der Seelenwanderung.
Ein wenig melancholisch stieß Gu Jiao die Tür auf und trat ein. In dem Moment, als sie die Schwelle überschritt, spürte sie jedoch die Anwesenheit einer anderen Person im Raum.
Anhand des Atemrhythmus zu urteilen, war es ein Mann.
Der Mann hatte sich hinter der Tür versteckt und hielt den Atem an.
Ein kaltes Lächeln erschien auf Gu Jiaos Lippen, als sie lässig das Haus betrat. Mit dem Geräusch der sich schließenden Tür streckte sie ihre Hand aus, ergriff den Mann hinter der Tür und warf ihn zu Boden!
Der Körper des Mannes war größer, als sie erwartet hatte.
Wäre sie in ihrem früheren Leben gewesen, hätte sie keine Angst gehabt, egal wie groß der Mann war. Leider musste sie nun mit ihrem aktuellen schwachen Körper ihr ganzes Gewicht einsetzen, um ihn festzuhalten.
Mit einer Hand löste sie ihr Haarband und fesselte die Handgelenke des Mannes, während ihre andere Hand sich um seinen Hals legte, während sie kalt fragte: "Wer sind Sie? Was machen Sie in meinem Haus?"
Der Mann war überrumpelt und dann überkam ihn eine Welle der Empörung: „Gu Jiao, bist du verrückt geworden? Ich bin es!"
Jemand, den sie kannte?
Also ein Insider?
Das machte die Sache noch verabscheuungswürdiger.
Statt den Mann loszulassen, verstärkte Gu Jiao den Druck und hielt ihn weiterhin fest.
"Sie... lassen Sie mich los!" Der Mann biss die Zähne zusammen, sein Tonfall war kalt.
„Hmpf~", spottete Gu Jiao.
In ihrem früheren Leben hatten alle nach ihrer Pfeife getanzt, und niemand hatte sie herumkommandiert. Dies war ihr Haus, und sie hatte ihn nicht mal wegen des Herumschleichens befragt!
Gu Jiao hob ihre Faust, um ihm eine Lektion zu erteilen. Doch versehentlich stieß ihr Ellenbogen das Fenster hinter ihr auf.
Helles Licht strömte herein und fiel auf das edle und gutaussehende Gesicht des Mannes. Gu Jiaos Augen weiteten sich vor Schreck.