[Erynn's POV]
Die letzten Tage hatten für Erynn eine deutliche Veränderung mit sich gebracht. Anfangs hatte sie Jacksons Aufmerksamkeit genossen, doch nun schien etwas in seiner Haltung gegenüber ihr zu kippen. Sie hatte ihn immer als einen der brillantesten und ehrgeizigsten Schüler der Akademie betrachtet – jemand, der immer wusste, was er wollte, und alles tat, um es zu bekommen. Doch jetzt war etwas anders. Er schien nicht mehr so oft an ihrer Seite zu sein, und wenn er es war, dann war er abwesend. Seine Augen, die früher vor Interesse und Fokus nur so strahlten, schienen nun von etwas anderem gefangen zu sein.
Sie konnte es nicht leugnen: Jackson war nicht mehr derselbe. In den letzten Tagen hatte sie bemerkt, wie er immer häufiger in die Nähe von Amaya ging. Nicht, dass es Erynn großartig überraschte. Immerhin war Amaya eine der wenigen, die mit Jackson wirklich mithalten konnte. Sie war stark, und Erynn hatte schnell verstanden, dass Amaya nicht die Art von Person war, die sich leicht unterdrücken ließ. Doch was sie inzwischen beunruhigte, war die Art und Weise, wie Jackson sich immer wieder in Amayas Nähe aufhielt, die Gespräche, die er mit ihr führte, und das kleine, fast nicht erkennbare Lächeln, das über sein Gesicht huschte, wenn er sie ansah.
Erynn war nicht blind. Sie hatte die Funken zwischen den beiden schon längst bemerkt, auch wenn sie sich selbst immer wieder eingeredet hatte, dass sie sich täuschte. Aber sie wusste es jetzt, und die Erkenntnis war wie ein Schlag ins Gesicht.
Sie hatte sich immer für Jackson interessiert, ja, das stimmte. Aber es war mehr als das – sie hatte sich von ihm angezogen gefühlt. Sie wollte ihn, wollte seine Aufmerksamkeit, wollte seine Bestätigung. Doch all das hatte sich in den letzten Wochen verändert. Der Drang, seine Nähe zu suchen, war verblasst, ersetzt durch ein Gefühl der Einsamkeit und des Zorns. Erynn konnte sich nicht selbst betrügen. Sie wusste genau, was es war: Jackson war nicht mehr der, in den sie sich verliebt hatte. Ihre Gefühle hatten sich nicht geändert, aber er hatte sich verändert, und damit auch die Beziehung zwischen ihnen.
An diesem Nachmittag saß sie alleine in einem der stilleren Lesesäle der Akademie. Der Raum war ruhig, nur das gelegentliche Rascheln der Blätter und das leise Flüstern von Magie in der Luft brachen die Stille. Sie hatte sich dort zurückgezogen, um nachzudenken. Die letzten Tage hatten sie verwirrt und aufgewühlt. Jackson und Amaya. Amaya und Jackson. Es war, als wäre ihre Welt aus den Fugen geraten.
Erynn griff nach einem alten, staubigen Buch, das auf einem der Tische lag. Es war ein Werk über Astralprojektion – eines der vielen Themen, mit denen sie sich auf ihren eigenen Weg konzentrierte. Doch der Text war heute nur ein Vorwand, sich zu beschäftigen, um ihre Gedanken von den Menschen abzulenken, die ihre Welt mittlerweile in Frage stellten.
Trotzdem kamen ihre Gedanken immer wieder zu Jackson zurück. Sie hatte bemerkt, wie er sich immer mehr von ihr distanzierte. Wenn er bei Amaya war, war er nicht der gleiche Jackson, den sie kannte. Er war lockerer, offener, und das schien ihn von ihr wegzuziehen, als ob etwas zwischen ihnen geknüpft worden war, was sie nicht verstehen konnte.
Erynn schloss das Buch und legte es beiseite. Sie starrte aus dem Fenster, ihre Gedanken wirbelten. Die Wahrheit war klar: Sie konnte Jackson nicht mehr für sich gewinnen, zumindest nicht auf die Art und Weise, wie sie es sich immer erhofft hatte. Vielleicht war das auch besser so. Vielleicht war es Zeit, ihn loszulassen.
Die Erkenntnis traf sie mit einer Härte, die sie nicht erwartet hatte. Es war schwer zu akzeptieren, aber sie wusste, dass sie sich selbst treu bleiben musste. Ihre gesamte Reise an dieser Akademie hatte sie dazu geführt, sich selbst besser zu verstehen. Sie war nicht hier, um jemanden zu jagen, der seine Zeit mit jemand anderem verbrachte. Sie war hier, um zu wachsen, um ihre Fähigkeiten zu entfalten. Und um zu erkennen, dass der Wunsch, Jackson für sich zu gewinnen, sie nur abgelenkt hatte.
Ein leises Klopfen an der Tür ließ sie aufsehen. Erynn fuhr zusammen, als sie Jacksons Silhouette im Türrahmen sah. Er schien überrascht, sie hier zu finden, was sie sich in diesem Moment nur zu gut vorstellen konnte.
„Erynn", begann er zögernd, „kann ich reinkommen?"
„Natürlich", sagte sie ruhig und legte das Buch beiseite. Ihre Stimme war gefasst, aber ihre Augen verrieten einen Funken Enttäuschung, den sie nicht ganz verbergen konnte.
Jackson trat ein und setzte sich ihr gegenüber. Für einen Moment schwiegen sie beide, und die Stille fühlte sich schwerer an, als sie es erwartet hatte.
„Wie geht es dir?", fragte er schließlich, doch seine Stimme klang mehr wie eine Floskel, als eine echte Sorge.
„Mir geht's gut", antwortete sie. „Wirklich."
Er nickte, aber seine Augen suchten nach etwas, als würde er darauf hoffen, mehr zu erfahren. Erynn wusste, dass er die Veränderung in ihrer Haltung bemerkte, und sie hatte nicht die Absicht, es zu verbergen.
„Weißt du", begann sie nach einer Pause, „ich habe in den letzten Tagen viel nachgedacht. Über uns. Über dich und mich. Ich dachte, ich wüsste, was ich will. Aber jetzt… jetzt bin ich mir nicht mehr sicher."
Jackson sah sie fragend an, als würde er darauf hoffen, dass sie fortfuhr. Doch Erynn war sich jetzt sicher. Es war Zeit, die Dinge auszusprechen.
„Ich habe gemerkt, dass du dich von mir entfernst. Und ich weiß, warum", sagte sie, ihre Stimme ruhig, aber fest. „Du interessierst dich für Amaya, nicht für mich. Es tut mir leid, das zu sagen, aber das ist die Wahrheit. Und ich… Ich kann dich nicht länger um etwas bitten, was du mir nicht geben kannst."
Die Worte hingen in der Luft, und für einen Moment war es, als ob die Zeit stillstand. Jackson öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, aber nichts kam. Erynn sah ihn an, ihre Augen klar, ohne Hass, aber mit einer endgültigen Erkenntnis, dass sie nun die richtige Entscheidung getroffen hatte.
„Ich werde dich nicht mehr in diese Richtung drängen", fuhr sie fort. „Es tut weh, aber es ist besser so. Du musst nicht mehr tun, was du tust, um mich nicht zu verletzen. Ich werde loslassen. Und du solltest das auch tun. Lass uns einfach sehen, was passiert."
Jackson saß da, sprachlos. Erynn fühlte, wie eine Last von ihren Schultern fiel. Es war keine einfache Entscheidung, aber es war der einzige Weg, weiterzugehen. Sie musste Jackson loslassen, um sich selbst zu finden.
„Ich wünsche dir alles Gute", sagte sie schließlich, als sie sich erhob. „Und ich hoffe, dass du den Weg findest, der für dich richtig ist. Du verdienst es."
Jackson stand langsam auf, und für einen Moment stand er einfach da, als ob er über ihre Worte nachdachte. Schließlich nickte er, mehr zu sich selbst als zu ihr. „Ich…Ich... danke dir", sagte er leise.
Erynn drehte sich um und verließ den Raum, dabei spürte sie, wie ihr Herz sich in eine neue Richtung bewegte. Sie hatte losgelassen. Und zum ersten Mal fühlte sie sich frei.