Durch Eisen geschlagen und vom Schatten vertrieben, Böse Energien in ihm versiegen. Reue so groß, sie hat kein Behälter, frisst die Welt und auch sich selber.
Es war das erste Mal seit über 25 Jahren, dass er seine Tochter wieder sah. Die Frau mit dem Kind, die er wieder auf dem Parkplatz vor dieser Schule sah, war wirklich seine Tochter, das spürte er. Sie sah nicht mehr so aus, wie er sie aus seiner Erinnerung gekannt hatte, doch das äußerliche war nur eine Fassade. Seit wann konnte sie Rauch erzeugen und wie alt war ihr Kind?
Er stellte sich viele Fragen zu seiner Tochter, doch eine Frage stellte er sich nicht, da er darauf bereits die Antwort wusste. Würde sie ihm verzeihen, für was er getan hatte? Das war unmöglich, denn ihre Wut von vorhin spürte er stark genug und er wusste mittlerweile auch, dass die Wut und der Hass berechtigt waren. Er hörte nur paar Tage vorher von der möglichen Besetzung einer Seika für ein Theaterstück einer bestimmten Schule in einem gewissen Dorf.
Egal wie klein die Chance war, dass sie es wirklich ist, er musste es überprüfen. Er wollte sich dafür entschuldigen, was für ein schlechter Vater er für sie war. Er hatte selbst nicht bemerkt, zu was er geworden ist. Das ständige Betrinken war nur etwas, das er getan hat, um etwas zu verdrängen. Er kam nicht mit dem Druck klar, jetzt auch noch auf ein kleines Kind aufzupassen.
Alles in seinem Leben ging schief und er ist auf die falsche Bahn geraten. Er hatte alles verloren, doch je mehr er es vergessen wollte, desto mehr verlor er, bis schlussendlich auch seine Frau verschwand. Seine Frau wollte ihn verklagen und weg von ihm. Das machte ihn nur noch wütender und er wurde noch schlimmer zu seiner Tochter..
Er wollte seiner Tochter einen Abschiedsbrief schreiben, in dem er seine Lage erklärte und sich wenigstens durch die Niedergeschriebenen Worte entschuldigen könnte. Er würde aber trotz allem nie erfahren, was die Antwort seiner Tochter darauf war, da er nun nicht einmal ihren neuen Namen kannte. Sie hatte es ihm klar und deutlich gesagt, dass sie keine Seika ist und somit auch nicht mehr seine Tochter.
"Seika oder wie du heute wohl heißt, ich wollte dir schreiben, da ich es nun verstanden habe. Nach etlichen Jahren habe ich verstanden dass ich wirklich das Monster war, was du und deine Mutter in mir gesehen habt.
Ich weiß, dass es zu spät für irgendwelche Entschuldigungen ist, doch ich möchte es trotzdem tun, um nicht in Reue zu sterben. Da ist mein erster und letzter Brief an dich. Ich will mich entschuldigen, dass ich dich noch vor deiner Geburt töten wollte.
Deine Mutter war gegen die Abtreibung, da sie schon zu fortgeschritten in der Schwangerschaft war. Aber auch so hätte sie dich wohl nie abgetrieben, denn sie liebte dich schon vor deiner Geburt. Es tut mir leid, dass ich deine Mutter dafür sogar geschlagen habe, weil sie es mir allen Mitteln verhindern wollte. Es tut mir leid, dass ich dich als du noch ein Baby warst ertränken wollte, weil es mir zu viel wurde. Ich war niemals und zu keiner Zeit bereit ein Vater zu sein.
Meine Zahllosen Versuche dich aus meinem Leben zu bringen führten schlussendlich wohl genau dazu. Ich habe angefangen mich zu betrinken und dich nur als lästiges Zeug angesehen. Ich wollte es nicht, nein ich wollte kein Vater sein. Und ich war auch keiner, doch du warst immer meine Tochter, doch das hatte ich nicht erkannt. Ich hatte es nicht durchdacht. Ich habe damals nur eine schöne Frau in einer Bar kennengelernt und das eine führte zu den anderen und schlussendlich wurde sie zu meiner Frau und deiner Mutter.
Schon ab da, dachte ich nicht über meine Konsequenzen nach, ich hatte es nie gelernt. Ich will mich nicht mit Ausreden rechtfertigen, doch so erging es mir. Alle Schläge, die du je von mir bekommen hast, waren nur weil ich so unzufrieden mit mir selbst war. Ich weiß es jetzt, doch leider ist bereits zu spät und leider wirst du mir wohl auch nie verzeihen. Meine Leber funktioniert nicht mehr richtig und meine Nieren versagen immer öfter. Auch mein Herz pumpt nicht mehr genug Blut und meine Lungen sind vom vielen Rauchen auch zu schwach geworden.
Auch wenn dich das alles nicht interessiert, Seika, so möchte ich es dir doch mitteilen. Ich habe so viel falsch gemacht und du hast es richtig gemacht, ich habe es gesehen. Du bist von zuhause abgehauen und du hast einen Sohn und er wirkte glücklich. Ab diesem Moment verstand ich, dass das Glück, was ich euch aufgezwungen hatte, kein echtes Glück war. Wie konnte ich nur so dumm sein?
Ich wünsche dir noch ein schönes Leben, indem du nicht leiden musst, meine kleine. Doch ich vertrage diesen Schmerz nicht mehr. Der Schmerz meiner Organe und auch dieser weltliche Druck aber auch die Klarheit darüber, dass ich ein grässliches Monster bin. Es tut mir leid, dass du nie einen echten Vater hattest."
Er Schnitt sich in den Finger und ließ drei Tropfen Blut auf die untere rechte Ecke des Briefes fallen und drückte es anschließend mit seinem Daumen zu einem Blutsiegel.
Er ging in die Küche an seinen Medikamentenschrank und holte etwas von dort. Er nahm alle Tabletten auf einmal und erstickte an ihnen, noch bevor er sie herunterschlucken konnte. Nach weniger als 30 Sekunden fiel er zu Boden um nach Luft zu schnappen, doch er hatte nicht die Kraft dazu, weder zu schlucken noch aufzustehen noch irgendetwas zu tun, das ihn aus dieser Lage retten würde. So hatte er sich seinen Abgang nicht vorgestellt.
Der Brief wurde nie abgeschickt und Kiyomi erhielt den Brief nie. Ihr Vater wusste weder ihren Namen noch Nachnamen und auch nicht, wo sie jetzt lebte, also wäre auch jeder Versuch sinnlos gewesen. Doch er wollte es sich von seiner Seele lösen. Das Leben, das er bereute.
2.
Ferruccio hatte sich wochenlang Gedanken gemacht, was er Seika zu ihrem 25. Geburtstag schenken könnte. Es musste etwas Besonderes sein, etwas, das ihre Beziehung und all das, was sie durchgemacht hatten, widerspiegelte. Er hatte in Büchern und Foren recherchiert, Kollegen befragt und schließlich eine Blume gefunden, die ihn sofort an Seika erinnerte. Eine rote Blume, deren Farben sich je nach Berührung veränderten – als ob sie von der Aura des Berührenden beeinflusst würde.
Am Tag ihres Geburtstags überreichte er ihr das Geschenk. Das Paket war in rotes Papier gehüllt, mit einer eleganten Schleife verziert. Ferruccio kniete sich vor sie, was Seika einen kurzen Schreck einjagte.
„Ferruccio, ich… ich bin noch nicht bereit…" stammelte sie mit leicht roten Wangen, bevor er sie unterbrach.
„Öffne es einfach," sagte er lächelnd. „Ich bin sicher, es wird dir gefallen."
Zögernd nahm sie das Geschenk an und löste die Schleife. Als sie den Deckel hob, blickte sie auf eine in Glas eingefasste Blume. Es war eine rote Dahlie mit einem weißen Stiel, deren Zentrum abwechselnd schwarze und weiße Muster zeigte, je nachdem, wer sie berührte.
„Eine… rote Dahlie?" fragte Seika, während sie die Blume genauer betrachtete.
„Ich weiß nicht, wie sie heißt," gab Ferruccio zu. „Aber sie hat mich an dich erinnert. Die Farben – rot, schwarz und weiß – sind wie deine Aura. Und sie ist so wunderschön wie du."
Seikas Gesicht wurde noch röter, als sie die Blume betrachtete. „Du schaffst es immer wieder…" murmelte sie.
„Was habe ich jetzt wieder geschafft?" fragte Ferruccio unsicher.
„Das hat mir meine Mutter früher gesagt, als ich noch ein Kind war," erklärte sie. „Diese Blume… sie hat für uns immer eine besondere Bedeutung gehabt."
„Das freut mich," sagte Ferruccio erleichtert. „Und weißt du, was das Beste ist? Diese Blume altert nicht in diesem Glas. Selbst wenn das Glas zerbrechen sollte, wird sie sich wie ein Phönix selbst verbrennen und aus ihrer eigenen Asche neu erblühen."
Seika schüttelte den Kopf und lachte leise. „Du bist unglaublich."
„Ich wollte nur, dass du etwas hast, das dich daran erinnert, dass es immer einen Neuanfang gibt," erklärte er. „Egal wie schwer es wird."
Seika umarmte ihn plötzlich, so fest, dass er fast das Gleichgewicht verlor. „Danke, Ferruccio."
„Hast du auch Geschenke von deinen Mädels bekommen?" fragte er nach einer Weile.
„Das ist nicht wichtig," antwortete Seika und ließ ihn los. „Jetzt bin ich bei dir, nicht bei ihnen."
Ferruccio lächelte. „Wenn ich dich so lächeln sehe, könnte ich mich immer wieder in dich verlieben…"
Seika sprang zurück, als hätte er sie verbrannt. „Du… was? Du bist in mich verliebt? Hilfe!"
„Was soll das denn jetzt?" fragte Ferruccio lachend. „Warum wirst du so knallrot?"
„Wieso sagst du das einfach so?" protestierte Seika. „Das ist das erste Mal, dass du es gesagt hast."
„Meine Gedanken waren wohl nicht laut genug…" erwiderte er mit einem schelmischen Grinsen.
Den Rest des Tages verbrachten sie miteinander, ohne dass jemand sie störte. Sie waren einfach nur glücklich.
Doch nach Ferruccios Urlaub begann die Herausforderung, ihre Beziehung geheim zu halten. Sie sprachen weiterhin über das Polizeigerät miteinander, trafen sich heimlich und schafften es fast ein Jahr lang, ihre Liebe vor der Welt zu verbergen. Doch je mehr Zeit verging, desto stärker wurde ihre Verbindung, und Seika fühlte sich immer mehr bereit, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen.
Schließlich erzählte sie Ferruccio nach drei Jahren Beziehung mehr über ihre dunklen Erinnerungen. Von ihrem Vater, ihrer Gang und den Dingen, die sie erlebt hatte. Es war ein schwerer Schritt, aber sie wusste, dass sie ihm vertrauen konnte. Ihre Schwangerschaft gab ihr den letzten Anstoß, die Gang zu verlassen. Doch als sie zurückging, um sich zu verabschieden, kam alles anders.
Drei junge Mitglieder der Gang, die Seikas Entscheidung nicht akzeptieren konnten, warteten auf den richtigen Moment. Während Seika im Gemeinschaftsraum war, traten sie an sie heran.
„Verräterin!" zischte eines der Mädchen und trat sie unvermittelt in den Bauch. Seika keuchte auf und versuchte, sich zu wehren, doch die Mädchen schlugen weiter auf sie ein.
Mit letzter Kraft setzte Seika ihre Magie ein. Sie packte eines der Mädchen, ließ ihre Kleidung in Flammen aufgehen und brach einer anderen mit einem gezielten Schlag das Kniegelenk. Mio stürmte herein und vertrieb die Mädchen, doch der Schaden war bereits angerichtet. Wenige Tage später kam die schreckliche Nachricht. Ihr ungeborenes Kind hatte nicht überlebt.
Ferruccio war es, der sie aus ihrer Verzweiflung holte. „Lass Seika sterben," sagte er sanft. „Lass alles, was dir wehgetan hat, sterben. Und beginne neu."
Seika folgte seinem Vorschlag. Sie inszenierten ihren Tod und zogen in ein abgelegenes Dorf, wo sie ein neues Leben als Kiyomi begann. Vor ihrem Umzug verbrannte Seika ihren Namen auf einem Blatt Papier und verabschiedete sich von ihrer Vergangenheit.
Ein Jahr später hielt sie ihren Sohn in den Armen. Sein Name war Akio, ihr „Licht", das sie aus der Dunkelheit geführt hatte.
„Er ist unser Neuanfang," sagte Ferruccio leise.
„Ja," flüsterte Kiyomi. „Er ist unser Licht."