Über die ganze Breite des Sternenmeers erkannte man das Bild einer verzweifelten, vom Tod in die Enge getriebenen Mutter. Auf dem einst so royalen Schlossboden kauerte sie nun wie ein Bettler auf der Straße ,während sie auf baldige Erlösung nur hoffen konnte. In der Schmach als letzte Überlebende des Königshauses flüchtete sie sich hinter die einzigen noch stehenden Mauern, um sich vor den Geschossen der hiesigen Bevölkerung zu schützen. Die Bürger des Landes trafen sich in Scharen vor den ehemaligen Eingangstoren des Schlosses. Als eine zusammengeschweißte Einheit warfen sie herumliegendes Geröll, die Überreste ihres Königreichs, gen Schlosshof, mit dem Ziel die letzte lebende Krone zu erschlagen. Mit herumliegenden Schilden versuchte sie den einpreschenden Zorn abzuwehren, jedoch geriet Königin Eliza in solche Bedrängnis, dass sämtliche Gegenwehr unter den herabfallenden Meteoriten verblasste und sie als Beute letztlich nur kampflos aufgeben konnte.
…
„Es gab keinen Gott mehr, der Schuldzuweisungen ertragen musste, keinen König, der seine Familie beschützen und das Volk einen konnte…
Die nächst höhere Instanz, sei sie noch so unschuldig gewesen, stellte sich zwangsweise alleine der Verachtung der Überlebenden ihrer Heimat entgegen. In aller Güte vom eigenen Volk erschlagen. Die unschöne Ironie des Lebens. Es tut mir leid, Simon."
Es gab nichts, was sich Simon in dieser Situation nicht hätte vorwerfen können.
„Ich weiß, was du denkst, aber die Schuld fällt nicht auf dich. Menschen sind schwach, sie klammern sich an alles, was ihnen einen Sinn im Leben verspricht. Wenn dieser Sinn versiegt, geben sie Ihrer Hoffnung die Schuld…und zerstören sie auf grausamste Weise. Das war einer der Gründe, warum ich die Welt verändern wollte."
Der Sohn Elizas brach komplett in sich zusammen. Auf dem Boden glitzernder Sterne versuchte er mehrmals vor Fassungslosigkeit und tiefer Trauer zu erbrechen, doch war ihm dies den Umständen entsprechend nicht möglich. Das versetzte ihn erstaunlicherweise in noch größere Wut. Wut, in Tränen gebadet, die ihm seine naiv vergüldete Sicht auf diese Welt nahm.
„Papa…
Mama…Sie war so gütig…Immer und jederzeit…zu allen, egal ob arm oder reich…Wieso musste sie so elendig sterben? Das war doch nicht ihre verdammte Schuld! Warum sind Menschen so grausam?! Das hat sie nicht verdient…verdammt!"
Ein tiefes Schluchzen übermannte den heranwachsenden Jugendlichen, der sich in diesem Moment am liebsten wieder in der liebevollen Wiege seiner Mutter wiederfinden wollte. Er war eben nach wie vor ein Kind gewesen.
Somos intervenierte hingegen recht kühl, mit dem Ziel, die unbändigen Schmerzen etwas lindern zu wollen.
„Wie gesagt, das hast nicht du zu verantworten. Du musst auch nicht unendlich nach ihr trauern. Dem Tod zum Trotz hat sie nämlich eine Entscheidung getroffen, die dich auf deinem Weg beschützen wird."
Die Stimmung lockerte sich etwas auf. Der kleine Prinz überwand seinen leisen Schmerz und wischte sich die Tränen von seiner Wange.
„Anders als dein Vater erreichte sie die Tore des Turms glücklicherweise rechtzeitig.
Nicht nur das, sie…
…Simon, schau bitte in das Sternenbild neben dir und sieh selbst."
Als er das zu hören vermochte, drehte er sich erwartungsvoll in Richtung des strahlenden Bildes und erkannte in der Pracht eines gigantischen Sternenmosaiks ein kleines besonderes Licht. Als er den Blickkontakt zu dem seltsam lebendig wirkenden Pünktchen festigte, umhüllte ihn eine vertraute Aura, die ihn gänzlich einnahm. Die versprühte Vertrautheit war ihm so ein unerlässlicher Wunsch geworden, dass er sie nun nicht mehr loslassen wollte. Vor dem Jüngling spielte sich nun das Bild ab, indem seine im Licht badende Mutter ihren größten Schatz stolz in den Arm nahm.
Ohne jegliche Verurteilung weinten sie Tränen des Glücks im Rücken des jeweils anderen. Ihre Trauer versiegte für diesen einen Moment, der unendlich schien.
Es gab keine Frage nach dem „Warum".
Es fielen nur Schluchzer der Erleichterung.
„Mein Schatz, ich habe dich so vermisst."
„Mama…ich wollte…ich wollte dich noch einmal sehen. Unbedingt. Aber es tat so weh…So höllisch weh…Ich hab's nicht rechtzeitig geschafft. Verzeih mir."
„Hör auf dir Vorwürfe zu machen, Simon. Es war mein Fehler. Als das Erdbeben aufhörte bin ich so schnell ich konnte zur Schenke gerannt. Aber es war zu spät. Ich…war zu langsam. Ich…Ich habe nicht einmal meinen sterbenden Sohn im Arm wiegen dürfen. Ich bin eine erbärmliche Mutter."
„Sag das bitte nicht", erwiderte Simon mit ruhiger Stimme.
„Ich bin so froh, dass dir eine zweite Chance geschenkt wird, Schatz. Und ich werde alles dafür tun, dass deine Reise ein gutes Ende finden wird. Denn egal wo dein Weg dich hinführen wird, ich werde dein Licht sein, das über dich wacht. Als Teil des Luminos ist das meine Pflicht."
Das Bild zweier sich im Arm liegenden wurde mit der Zeit immer weniger greifbar. Als Simon das bemerkte, machte er eine hilflose Bekundung in die Weiten des helldunklen Nirwanas.
„Geh nicht. Du fehlst mir. Bitte, bleib hier!"
Seine Mutter antwortete mit einem ernsten Lächeln.
„Simon, Prinz von Grandia-Ko, Sohn deines Vater König Erhard, du bist der verantwortungsvollste, liebenswürdigste und willensstärkste Thronfolger, den sich ein Land nur hätte wünschen können. Hab ein bisschen mehr Vertrauen in dich. Meine Lebenszeit ist vorbei, aber deine hat gerade erst begonnen. Trage dein Leben mit Stolz."
Sie beendete das glanzvolle Treffen schließlich mit den Worten „Ich werde immer bei dir sein", bevor sie sich verabschiedete und zu den tausenden Strahlepunkten zurückkehrte, die ebenfalls ihre Freiheit gegen die Hoffnung der Zukunft eintauschten.
Es blieb einen wahrlich kurzen Moment still, indem sich Simon fasste und Somos erneut zu reden begann.
Schließlich fiel das finale Memoire, welches die Geburt einer neuen Hoffnung einläuten sollte.
„Mit ihrer Sternentreue werden wir unser Ziel erreichen. Die Geburt eines Gottes steht kurz bevor. Also Auserwählter, steh endlich auf und akzeptiere dein Schicksal. Sorge dafür, dass sich ein solch trauriges Spektakel nicht wiederholen muss. Schütze die Welt, die dich zunächst verstoßen hatte, um das zu erreichen, was du immer wolltest. Steh auf, Stimme Gottes und schenke deinen Vorgängern die Kraft einer jungen Seele, auf dass eine starke Zuversicht den Problemen dieser Welt entgegentreten kann."
Simon erhob sich mit zitternden Beinen, aber einem unfassbar selbstbewussten Grinsen. Auf dem leuchtenden Weg, der nun ein klares Ziel vor Augen hatte, befand sich der einzige Schlüssel zur Zukunft. In seinen Gedanken versprach er seiner nun sternengleichen Mutter, eine Welt aufzubauen, in der alle Bewohner dieser Welt niemals mehr den Grund haben müssen, eine wahrlich gütige Person unter blutbefleckten Trümmern zu begraben.
„Mama, ich werde auf alle Fälle den alten Wolkenmann übertreffen, so wie ich es dir versprochen habe. Ich werde ihn übertrumpfen, mit deiner und eurer aller Hilfe."
Er atmete ein.
Er atmete aus.
„Es ist so weit, ich bin bereit, Somos. Schenke mir die Macht, die Zukunft zu ändern. Unter den wachenden Augen dieser Sterne werde ich dein Amt übernehmen. Unser Licht, unsere Stimme wird den Unterschied machen!"
Am Ende der Sternenstraße befand sich nun ein Thron. Ein unbeschreiblich mächtiger Thron. Ein Thron würdig für einen König, würdig für einen Gott, umgarnt von den wachenden Augen des Luminos. Somos begann mit dem Ritual. Er setzte sich auf den wohl mächtigsten Thron, der die Seelen alter Herrscher in sich aufnahm und dem neuen Körper Gottes einpflanzte. Seine finalen Worte, der Tonus alter Legenden, war gerichtet an den Auserwählten des Lichts:
„Endlich junger Prinz, erlöst du uns von unserer Schwäche. Wenn wir viele Seelen gescheiterter Zeiten, die wir hier in einem Körper konzentriert gespeichert sind, mit dir verschmelzen, erreichen wir das Unmögliche, was uns zuvor so oft verwehrt wurde. Wir erschaffen einen neuen Gott, der eine neue Zeit einläutet.
Nehme nun Platz, Auserwählter. Möge deine Hoffnung unsere Zukunft bestimmen. Wir, Somos, stehen für dich bereit! Werde nun auch du ein Teil von uns! Lass uns im Gegenzug auch ein Teil von dir werden! Von deiner Geschichte als Mensch. Sie setzt den Fokus für deine Ära."
Somos verblasste langsam in den Weiten des leuchtenden Raumes, genauso, wie es Simons Mutter vor ihm tat, während der Thron förmlich zu glühen begann. Simon ging noch einmal in sich…
…dann bestieg er seinen rechtmäßigen Platz. Mit geschlossenen Augen und gesenktem Kopf war es die Ruhe vor dem Sturm, die die Weiten der Welt durchzog, bevor ihm das Schicksal eine Kette um den Hals band. Geflochten aus den Seelen vergessener Stimmen, war es nun seine Verantwortung, die Zukunft zu formen.
Mit einem Lichtblitzspektakel am irdischen Himmel, verkündete die neue Stimme des Luminos nun seine triumphale Rückkehr.
Simon öffnete seine Augen und erhob seinen Kopf. Seine einst goldgelben Haare funkelten nunmehr wie die strahlenden Sterne in einem goldenen Schimmer. Genauso wie seine Augen, in welchen nun die güldene Macht des Luminos brennt. Ein königswürdiger Umhang im roten Gewand, sowie eine passgenaue beige Tunika wurden ihm durch das Licht augenblicklich maßgeschneidert. Die Symphonien seines Lebens umgarnten wie ein Schleier seine beiden Arme. Geziert mit Musiknoten führten sie seine Leidenschaft bis an die Fingerspitzen über die ledrigen Handschuhe hinweg.
Als letztes Willkommensgeschenk vermachte ihm das Luminos eine besondere Gabe. Die Abendzeitflöte alter Lebtage protzte mit der Macht des endlosen Meeres, Licht wie Dunkel als eine Art Schwertersatz an der Hüfte des Auserwählten. Er war nun gewappnet für das, was vor ihm lag.
Schließlich stand er erhobenen Hauptes auf und die Welt hielt kurzerhand ihren Atem an, als er lautstark verkündete:
„Ich bin Simon, die neue Stimme Gottes!"
Das war das Finale des Prologs, ich hoffe es hat euch gefallen :)
Lasst mich wissen, falls ihr mehr wollt, ansonsten findet ihr die Fortsetzung hier:
https://www.wattpad.com/story/223286236-luminos-lite