Xiao Liulang wurde gleich nach seiner Ankunft in der Stadt von einem Kommilitonen in die Medizinische Fakultät gezogen. Vor der Medizinischen Halle hatte sich bereits eine lange Schlange wartender Menschen gebildet, die alle darauf hofften, vom Wunderarzt behandelt zu werden.
Beide standen am Ende der Schlange. Der Kommilitone reckte sich auf die Zehenspitzen und blickte sich um: "Es ist noch nicht zu spät, wir sollten es noch schaffen."
"Ich gebe dir später das Fahrgeld", sagte Xiao Liulang.
Der Kommilitone klopfte auf seine Brust: "Wir sind Klassenkameraden und Ortsansässige, warum so förmlich sein? Übrigens, bist du hungrig?"
Er war in Eile losgezogen und hatte noch nichts gegessen, und Xiao Liulang hatte noch weniger gegessen. Aus seinem weiten Ärmel zog er ein sauberes Päckchen hervor, in dem drei prächtige Maisbrote lagen.
"Von wo hast du diese Broten?", fragte Xiao Liulang, denn sie kamen ihm seltsam bekannt vor.
Der Kommilitone sagte: "Ich habe sie aus deinem Ofen genommen. Sie waren gerade frisch gedämpft, als ich hinkam!"
Xiao Liulang runzelte die Stirn: "Wie viele hast du gelassen?"
Der Kommilitone entgegnete neugierig: "Waren es nicht insgesamt nur drei? Erinnerst du dich nicht an die Brote, die du selbst gemacht hast?"
Xiao Liulang schwieg.
Nach einer Weile fragte er: "Warum hast du ihr keinen davon gelassen?"
Der Kommilitone war erstaunt: "Meinst du diese bösartige Frau? Warum sollte man ihr etwas lassen? Hat sie dir nicht schon genug Schaden zugefügt? Außerdem isst sie ohnehin nicht, was du zubereitest!"
Der Kommilitone biss in ein Maisbrot und seine Augen weiteten sich schlagartig: "Bruder Xiao, wie kommt es, dass die von dir heute zubereiteten Maisbrote so gut schmecken?"
Xiao Liulang verließ die Schlange.
Der Kommilitone war erschrocken: "Wohin gehst du, Bruder Xiao? Du bist gleich dran!"
Xiao Liulang antwortete nicht und ging weiter.
Da die Schlange sich fast bis in die Gasse erstreckte, wandte sich der verunsicherte Kommilitone an die Frau hinter sich: "Tante, wir müssen mal kurz zur Toilette und kommen gleich zurück!"
Er holte Xiao Liulang ein: "Was hast du vor?"
"Ich kaufe Osmanthuskuchen", sagte Xiao Liulang, als er die Gasse durchquerte und den Laden von Liji erreichte.
Liji war ein Geschäft mit jahrhundertealter Tradition, vor dessen Türen sich nicht weniger Menschen drängten als vor der Medizinischen Halle.
Der Kommilitone war besorgt: "Bist du verrückt? Kaufst du wirklich Osmanthuskuchen für jene niederträchtige Frau? Weißt du nicht, dass Dr. Zhang nur am Vormittag Sprechstunden abhält? Wenn du jetzt den Kuchen kaufst, ist die günstige Zeit vorbei!"
Xiao Liulang war stur; wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte ihn nicht einmal mehr ein Achtergespann davon abbringen.
Eine Stunde später erwarb Xiao Liulang erfolgreich einen Osmanthuskuchen bei Liji.
"Ich hoffe doch sehr, Dr. Zhang ist noch nicht weg!" Der Kommilitone packte Xiao Liulang und sie eilten zurück zur Medizinischen Halle.
Als sie jedoch am Eingang der Medizinischen Halle ankamen, war die Schlange der Wartenden verschwunden. Stattdessen gab es eine Traube von Schaulustigen und eine beeindruckende Aufstellung von ernst blickenden Offizieren und Soldaten.
Der Kommilitone wandte sich an einen Mann mittleren Alters und fragte: "Onkel, was ist hier passiert? Wohin sind alle Patienten gegangen?"
Der Mann mittleren Alters erklärte: "Vor kurzem stürmte ein Verrückter die Medizinische Halle und behauptete, der Arzt hätte seine Frau getötet. Er griff wild um sich und verletzte alle Anwesenden. Siehst du die Tante dort am Eingang? Sie war die Letzte, die hineingegangen ist, und genau als sie das tat, kam der Verrückte. Sie hatte Glück, dass sie fliehen konnte, ist aber gestürzt und hat sich am Kopf verletzt."
War diese Tante nicht die Frau gewesen, die in der Schlange hinter ihnen stand?
Wären sie nicht gegangen, wäre Xiao Liulang als Nächster ins Innere gegangen. Mit seiner Beinbehinderung hätte es Xiao Liulang unmöglich geschafft zu fliehen, daher hätte er zu den Verletzten zählen müssen.
Auf dem Heimweg herrschte Stille zwischen ihnen.
Der Himmel verdunkelte sich allmählich und die von Pferden gezogene Kutsche bewegte sich über den stillen Pfad, die Räder knarrend.
Die Kutschen in der Stadt waren zu dieser Stunde ungern auf dem Land unterwegs, daher mieteten sie für zwanzig Kupfermünzen einen Maultierkarren. Dieser hatte keine Kutsche, nur ein einfaches Zelt, das von beiden Seiten den Wind durchließ.
Sie froren so sehr, dass ihnen die Hände und Füße erstarrten.
Plötzlich erschien eine kleine, schmächtige Gestalt in Xiao Liulangs Blickfeld. Xiao Liulangs Augen leuchteten auf.An einer Weggabelung.
Der Weg vor uns führt zurück ins Dorf, während der Pfad nach Westen zum Marktplatz führt.
Vom Marktplatz kommend, stapfte Gu Jiao mit einem schweren Korb auf dem Rücken keuchend dahin.
Das Nachglühen des Sonnenuntergangs war verblasst, und sie wurde von den letzten Dämmerungsresten umhüllt, ihre Gestalt dünn und zerbrechlich.
Sie hob eine Hand, um sich den Schweiß abzuwischen, und entblößte dabei einen Verband am Handgelenk, der mit Blutspuren übersät war.
"Halte die Kutsche an", sagte Xiao Liulang.
Der Kutscher brachte die Pferdekutsche zum Stehen.
"Warum halten wir an?", fragte sein Klassenkamerad verwirrt. Dann sah er Gu Jiao, die zu Fuß herankam.
Gu Jiao hatte sie nicht bemerkt - sie nahm einfach an, dass es eine herkömmliche Maultierkutsche sei. Sie schaute nicht hoch und ging ohne einen zweiten Blick an der Kutsche vorbei.
"Steig ein", sagte Liulang.
Erst dann drehte Gu Jiao den Kopf und sah überrascht, dass Liulang in der Kutsche saß, neben ihm sein Klassenkamerad.
Trotz seiner offensichtlichen Abneigung hatte der Klassenkamerad nichts dagegen, dass Liulang ihr eine Mitfahrgelegenheit anbot.
"Steig ein", wiederholte Xiao Liulang mit eisiger Stimme.
Obwohl er erst sechzehn oder siebzehn Jahre alt war, besaß er eine Gelassenheit und Ausstrahlung, die nicht seinem Alter entsprachen.
Nach anfänglichem Zögern kletterte Gu Jiao schließlich ein.
Sie setzte sich Liulang gegenüber und stellte den Korb auf dem Boden ab.
Liulang blickte auf den Korb und fragte: "Du warst auf dem Marktplatz?"
Gu Jiao nickte: "Ja, ich habe ein paar Hühner verkauft und etwas Reis und Weizenmehl gekauft." Dann tat sie noch etwas anderes.
Mit einem tiefen, durchdringenden Blick schien er etwas erkannt zu haben, blieb jedoch still.
Der Klassenkamerad warf Jiao einen seltsamen Blick zu – kann diese törichte Frau tatsächlich Geschäfte machen?
Gu Jiao ignorierte seine Blicke und fragte Liulang: "Was ist mit dir? Hast du heute den Arzt in der Stadt getroffen?"
"Hättest du nicht so einen Heißhunger auf Osmanthuskuchen gehabt, hätten wir die Sprechstunde von Dr. Zhang nicht versäumt", rief der Klassenkamerad, ohne zu erwähnen, dass sie nur knapp einer größeren Katastrophe entgangen waren.
"Das ist wirklich bedauerlich", sagte Gu Jiao und senkte enttäuscht den Blick.
Obwohl sie ihr Bedauern ausdrückte, hatte man den Eindruck, dass es ihr überhaupt nicht leid tat. Könnte sie schon wissen, was in der Medizinischen Halle passiert ist?
Unmöglich! Würde sie die Ruhe bewahren können, wenn sie wüsste, dass sie ihren Schwager versehentlich gerettet hat? Letztes Mal führte die Rettung zu ihrer Heirat. Würde sie nicht nach den Sternen greifen, wenn das noch einmal passierte?
Der Klassenkamerad spottete: "Ich habe den Osmanthuskuchen gegessen! Ich werde dir nichts davon geben!"
Gu Jiao reagierte mit einem leidenschaftslosen "Oh".
Frustration erfüllte den Klassenkameraden, der auf einen Wattebausch einschlug.
Danach schwieg jeder.
Aus der entgegengesetzten Richtung näherte sich eine ziemlich schicke Kutsche.
Voller Aufregung rief der Klassenkamerad: "Sieh mal! Das ist die Kutsche des Akademieleiters!"
"Welcher Akademieleiter?" fragte Gu Jiao.
"Der Leiter der Tianxiang-Akademie, natürlich! Die Akademie, für die Liulang in drei Tagen die Aufnahmeprüfung machen wird! Der Leiter stammt aus der Hauptstadt, gehört zu den vier besten Gelehrten und besitzt umfangreiches Wissen über alte und moderne Zeiten. Sein Prüfungsergebnis von vor zwanzig Jahren ist bis heute unübertroffen! Seine Anleitung ist ein Jahrzehnt des Studiums alter Texte wert! Wie großartig wäre es, sein Schüler zu sein! Aber ich habe gehört, dass der Schulleiter seit vielen Jahren keine Schüler mehr aufnimmt. Ich bin seit einem halben Jahr in der Akademie und habe sein Gesicht noch nicht gesehen", plapperte der Klassenkamerad aufgeregt weiter, ohne zu merken, dass er sich mit jemandem unterhielt, den er verachtete.
In der Kutsche.
Der Akademieleiter trug sein formelles weißes Gewand und saß ruhig an der Seite, während ein alter Mann in schlichtem Stoff vor ihm saß.
Der alte Mann hatte einen Verband um den linken Arm, einen kleinen zerbrochenen Regenschirm auf seinem Schoß und auf unerklärliche Weise einen großen Fußabdruck auf seinem Gesicht.
Der Leiter war leicht verblüfft, verzichtete jedoch darauf, ihn danach zu fragen.
Er verbeugte sich respektvoll und fragte: "Warum haben Sie beschlossen, den Berg plötzlich zu verlassen? Warum haben Sie mich nicht früher informiert? Ich hätte dafür sorgen können, dass jemand Sie abholt."