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Kapitel 3 : Kälte

Kalte Winde strömen an den Ohren von Alor vorbei. Ein Gefühl hat er in diesen längst nicht mehr. Nur das gelegentliche Berühren seiner Ohrläppchen bringt Durchblutung in die gefrorenen Knorpel. 

Sein Gesicht so frostig, dass jegliche Mimik erstarrt, sein Haupt noch immer gen Horizont gerichtet. Jeder Schritt knarrt auf den massiven Eisboden welcher vereinzelt Risse vorweisen kann. Tyorg ist schon seit Stunden nicht mehr in Sichtweite. 

Ein Hilferuf würde helfen, doch kann Alor seine Lippen nicht bewegen. Nicht einen Meter Sichtweite hat ein einfacher Mann in dieser Eiswüste. Das Gefühl in den Fingern schon längst verloren, steckt er diese in die Tasche seiner Unterbekleidung. Warmes Blut pocht durch die schmerzhaft starren Finger und füllt diese mit Gefühl und Temperatur. 

Eisiger Boden wird fester und wärmer. Durch die weiße Nebelwand brennen sich ein paar Lichter. Silhouetten mit breiten Schultern und großer Statur nähern sich ihm. Sein stumpfes Schwert kalt an seiner Taille, greift er nach diesem und hält es mit schwacher Haltung den Gestalten entgegen.

Stimmen durchbrechen das Heulen des Blizzards. 

„Er ist hier !" 

„Genau ihn habe ich verloren !"

Eine vertraute Stimme entspannt Alors Körper.

Das Letzte, was er vernimmt, bevor seine Augen die kalte Dunkelheit begrüßen. Der gefrorene Leib knallt auf den eisigen Boden…

Würziges Fleisch dringt in seine warme Nase. Sein Körper so schwer, dass sich Alor kaum bewegen kann. Dicke Pelze wärmen seinen einst kalten Kreislauf und erdrücken den Deserteur fast mit ihrem Gewicht. Sein Kopf schmerzt etwas, als er seine Augen öffnet. 

Dicke Pelze haften an Boden und Decken. Warmes Feuer schmort den zarten Braten im dunklen Sud. Kein Windhauch, keine kalte Überraschung. Seine Hände greifen nach dem warmen Ballast, welcher ihn bedeckt. 

Schritte treten mächtig und laut auf den warmen Holzboden. Eine Gestalt, groß und vertraut, lächelt Alor freundlich an. 

„Wieder wach ? Hab dich im Blizzard verloren. Dachte , um dich sei's geschehen."

Unfähig einen Satz zu bilden, hebt der schwächliche Mann sein Haupt…jedoch ohne Erfolg. Sein Kopf landet wieder auf dem leicht muffigen – aber durchaus warmen, Fell welche das Bett bedeckt.

Die hünenhafte Silhouette nähert Alor langsam. Eine gewisse Ruhe überkommt Alor, als er die Person einordnen kann. 

Tyorg's Gesicht starrt auf seinen in Fellen gehüllten Körper. Seine Mimik weist grübelnde Züge auf. Rasch dreht sich der große Mann aus dem Norden wieder um und rührt hektisch durch einen Topf welcher über der Feuerstelle hängt. 

Mit einer Hand streut er Gewürze in die kochende Substanz. Ein Geruch so angenehm, dass dieser Alors Magen knurren lässt. Herzhaft und aromatisch schmort der Sud vor sich hin. Die Geräusche welcher sein Körper von sich gibt, lassen selbst Tyorg nicht in Ruhe. 

„Bist auch ein Narr. Ohne was zu beißen einfach durch die Eiswüste laufen."

Murmelt der nordische Mann. „Hätten wir dich nicht gefunden, dann wärst du gefrorenes Fleisch." Fast schon ermahnend sprich Tyorg zu dem schwachen eralischen Deserteur. 

Behutsam füllt er etwas Sud aus dem Kochtopf, in einen Krug und stellt diesen auf den Tisch, welcher neben Alors Bett steht. 

„Trink das. Bringt dich direkt wieder auf die Beine."

Murmelt Tyorg.

Durch die kleine Öffnung nach außen dröhnen die jubelnden Stimmen zahlreicher Menschen. Es wird geschrien, geklatscht und gepfiffen. Das schwingende Geräusch von zwei Klingen hallt mit unfassbar Regelmäßigkeit an den lauten Bürgen vorbei. Sogar Instrumente von Baden sind in weiter Ferne zu hören.

Tyorg streckt seinen Kopf aus dem Eingang des großen Zeltes und jubelt ebenfalls. 

„Sieh mal zu, dass du schnell auf die Beine kommst. Das große Turnier hat angefangen." 

Der große Krieger lacht. 

Fragend hebt Alor seinen Kopf an, diesmal mit Erfolg. 

„Das große Turnier ?" 

fragt er mit wehleidiger Stimme.

Sein Gegenüber nickt eifrig. 

„Ja ! Der Gewinner wird unser neuer Häuptling ! Kampf um Leben und Tod ! Ein Spektakel !"

Erzählt der Yvelische Riese mit unfassbar motivierter Stimme.

Planlos nickt der schwarzhaarige. Seine Mimik lässt noch immer darauf deuten, dass er den Sinn dieses Turniers noch nicht ganz versteht. Jedoch lassen die Gedanken an einen Kampf um Leben und Tod die Bilder, welche in seinen Kopf schlummern, wieder erwachen. Szenarien, welche sich jeglicher Beschreibung an Grausamkeit entziehen, hämmern in seiner Psyche mit unfassbarer Brutalität. 

Blut spitzt in sein Gesicht, Schwerter stoßen durch seinen Körper. Panische Schreie bohren sich in seinen unschuldigen Schädel. Als nächstes glüht seine Wange als Reaktion auf eine Backpfeife…schweißgebadet blickt Alor auf seine Felldecken. 

Tyorg's Hand ist noch immer neben sein Gesicht platziert. Dieser seufzt und schüttelt seinen Kopf. 

Du brauchst Hilfe. Wenn allein der Gedanke an B-."

Er unterbricht sich selbst. 

„Wenn du dich besser fühlst, versuche dir das Turnier anzusehen. Deine…Ängste musst du irgendwie überwinden."

Stammelt er unsicher. 

Ohne auch nur ein Wort über seine Lippen zu bringen, sieht Alor zu, wie Tyorg das Zelt verlässt. Zittrig greift er nach dem Becher mit würzigen Sud und nimmt einen großzügigen Schluck. Die Gewürze harmonieren perfekt mit der deftigen Soße. Nicht zu flüssig, nicht zu dick. Wenn der Riese es gekocht hat, dann ist er wahrscheinlich der beste Koch, den er je gesehen hat. 

Behutsam streckt er seine Füße aus den wuchtigen Decken hervor und setzt sich auf. Schwindel und Übelkeit überkommen ihn, doch an diese hat er sich bereits gewöhnt. Das Trauma, welches Alor seit jenen Tag plagt, hat ihn gewissermaßen auch gestärkt. Doch die Angst davor, seinen psychischen Spielchen zu unterlegen, begleitet ihn ebenfalls. 

Schwerfällig stemmt er seine Beine gen Boden und richtet sich erstmals auf. Alors Stand ist unerwartet sicher. Mit dem letzten Tropfen Sud, welchen er leidenschaftlich trinkt, greift der schwarzhaarige nach seiner Rüstung, welche sorgfältig auf einen Tisch gelegt worden ist. 

In voller Rüstung und gesättigt, verlässt auch Alor das Zelt. Seine Stiefel lassen den Schnee unter seinen Füßen knirschen. Die weiße Watte ist auf jedem Dach, auf jedem Feldweg und auf jeder Kiste. Das ganze Königreich scheint in Schnee gehüllt zu sein und doch scheint es niemanden hier im alltäglichen Leben zu beeinflussen. 

Die Häuser welche in Yvel stehen, sind geprägt von einer hölzernen Architektur mit detaillierten Verzierungen an Dächern und Türen. Oftmals sind Raubtiere wie Wölfe oder Bären dort eingraviert. Jeder Zivilist in dem frostigen Reich ist unfassbar groß, gut drei Köpfe größer als Alor. Man könnte meinen, dass jeder dieser gewaltigen Menschen mit Leichtigkeit ein dutzend eralischen Soldaten niedermähen könnte. 

Obwohl Alor ganz offenbar aus einem anderen Reich kommt, grüßen ihn die Bürger freundlich, während sie mit erpichten Laufschritt in die Richtung des Turniers laufen. Am Horizont erblickt er eine unfassbare Masse dieser gewaltigen Menschen, die in einem Halbkreis um eine Schlucht stehen. Der laute Gejubel ist kaum zu überhören.

Als Alor die Menschenmenge erreicht, ist es hart für ihn, etwas zu erkennen. Die yvelischen Bürger sind so groß, dass sie ihm die Sicht versperren. Eifrig knallt das Metall innerhalb des Loches zusammen. Zwischen einer kleinen Lücke kann Alor einen Blick auf das Turnier erhaschen…

Ein Krieger, welcher selbst für jemanden aus Yvel unfassbar groß ist, schwingt eine Streitaxt welche mehr wiegt als Alor selbst. Seine Hiebe sind langsam aber kraftvoll. Einige Risse im Boden und in den Wänden der Arena, offenbaren die schiere Kraft des monumentalen Kämpfers. Doch schnell schwankt Alors Aufmerksamkeit auf den anderen Herausforderer in der Arena.

Eine Frau – so groß wie Alor – mit langen silbernen Haaren und stahlblauen Augen kämpft gegen den hünenhaften Riesen. Sie trägt eine leichte Rüstung und schwingt zwei leichte hochwertige Schwerter. Ihr Körper ist unfassbar gut trainiert. Man kann selbst aus der Perspektive der Zuschauer jeden einzelnen Muskel – welcher nicht von Rüstung bedeckt ist – erkennen. 

Flink manövriert die Kriegerin mit den blauen Augen ihren Körper, sodass die langsamen Schläge des riesigen Barbars ins Leere gehen. Elegant rutscht sie unter einem horizontalen Hieb ihres Gegners und schwingt ihre Schwerter so schnell, dass man nur das Blitzen der metallischen Klingen vernehmen kann. 

Die Achillessehne des enormen Kämpfers wurde zerschnitten und das Blut strömte aus den Füßen. Der Brocken fällt zu Boden und blutet Eimerweise. Mit identisch schnellen Hieben wie bei ihrem letzten Angriff, schneidet die silberhaarige Frau den Kopf des Riesen ab. Dieser fällt wie ein gewichtiger Fels herab und hüllt die Zuschauer in ein ausdauerndes Schweigen. 

Erst als die Erste Person anfängt zu jubeln, schließen sich die anderen diesem an. Selbst Alor – welcher normalerweise von Blut und Tod abgeschreckt ist, ist begeistert von der Kampfkunst der trainierten Frau. Noch nie hat er eine Kriegerin mit zwei Schwertern gesehen. 

„Ein neuer Häuptling ! Wir haben einen neuen Häuptling !"

Brüllt ein großer Mann aus dem Publikum. 

Selbstbewusst streckt die Frau ihren Arm in die Luft und gibt einen jubelnden Schrei von sich. Alors Augen funkeln beim Antlitz der Kriegerin. Tief im Inneren beneidet er die Stärke der Frau, da er mit einem solchen Können das Blutbad in Trelif hätte verhindern können. 

Während die yvelischen Bürger ihren neuen Häuptling bejubelten, so sieht Alor einen neuen Lehrmeister, welcher ihn helfen kann mit dem Schwert umzugehen.

Hölzerne Bläser und riesige Trommeln erfüllen die kalte Stadt mit festlicher Stimmung. An jeder Bude zog der Duft von gebratenem Fleisch und süßen Backwaren umher. Jeder Mann hatte stolz seinen Krug in der Hand, während herzlichst getanzt wird. 

Uralte Hymnen werden passend zu den Instrumenten von den Betrunkenen gesungen. Der neue Häuptling war mittendrin im Spektakel. Die Menschen riechen teils so stark nach Bier, dass Alor sein Gesicht etwas verzieht, als er sich inmitten der riesigen Bürger einen Weg zum Häuptling bahnt. 

Wind zieht von hinten über seinen Rücken. Dies ist allerdings kein Werk der Natur, sondern der Rülpser eines betrunkenen Tänzers, welcher den eralischen Mann mit ganzer Wucht in den Nacken aufstößt. 

>>Ich werde hier nicht länger bleiben als notwendig…<<

Denkt sich Alor, als er Gedankenversunken in die silberhaarige Frau knallt.

„Pass doch auf !"

Murmelt diese genervt und lallt dabei hörbar. 

„Ich- Entschuldigung, aber ich habe eine Bitte an euch !"

Die ganze feiernde Meute verstummt schlagartig. Das Blasorchester hört auf zu spielen und die Trommeln schweigen ebenfalls. Riesige Männer drehen sich erwartungsvoll in die Richtung von Alor und schweigen ihn an. 

Nervosität und Schweiß läuft ihm über seine Stirn. Die Angst, dass seine Bitte an den Häuptling nicht gut aufgenommen wird, wächst rasant. 

Mutig, aber dennoch unsicher bricht Alor die Stille, welche den ganzen Platz umhüllt. 

„Ich suche einen Lehrmeister und-„ 

Die silberhaarige Frau lässt Alor nicht ausreden. Mit strengen Blick analysiert sie seine Optik.

„Nen eralischer Pimpf bittet mich um nichts. *hicks* Kannst froh sein, wenn ich dich leben lasse."

Lallt der Häuptling betrunken. 

„Ihr versteht nicht ! Ich bin ein Deserteur und bitte verzweifelt um Unterweisung…"

Stammelt der schwarzhaarige angespannt. 

„Nen Deserteur hm ? Könntest aber auch ein Spion sein !" 

 Menge wütend und stimmt ihrem neuen Häuptling zu. „Ja genau !" „Ein Spion ist er !". 

Frust ersetzt die Unsicherheit in seinem Körper. In keinem Szenario dieser Welt lässt sich Alor von betrunkenen Menschen den Mund verbieten. 

Ich würde alles tun ! Wirklich ! Ihr könnt mir vertrauen."

Bringt er ernst aber zugleich auch ruhig über seine Lippen. 

Die Meute verstummt schlagartig…erneut. Man kann sehen, wie eine Frau — welche den besoffenen Haufen anführt, anfängt zu grübeln. Sie kichert sich ins Fäustchen und hebt ihren Krug.

„Dann habe ich eine Idee…Aber kleiner, die wird dir nicht gefallen."

Der Häuptling hat ein schelmisches Grinsen auf ihrem Gesicht, während sie Alor erwartungsvoll ansieht.

Zwar ist er bereit, alles dafür zu tun, die Silberhaarige als Lehrmeister zu gewinnen, dennoch überkommt ihn ein ungutes Gefühl...