Serena war ein einziges Chaos. Obwohl sie nach außen hin beherrscht erschien, war sie innerlich zerrüttet. Sie war an diesen Ort gegangen, in der Hoffnung, Antworten zu finden. Stattdessen war sie entführt worden. Und wenn es nach diesen Leuten ging, hätte man sie einfach verkauft.
Aber warum? Was hatte sie getan, um so etwas zu verdienen?
Unter ihren Wimpern warf sie einen Blick auf Aiden und zog verwirrt die Stirn kraus. Auch wenn sie so getan hatte, als hätte sie auf ihn gewartet, hatte sie nicht wirklich erwartet, dass er herbeieilen würde, um sie zu retten.
Aidens Augen loderten voller Wut, als er Serenas abgekämpfte und gedämpfte Erscheinung wahrnahm. Sie hatte Glück, dass diese Leute nur verzweifelte Nachbarn waren, die ihr Geld zurückwollten. Wäre sie auf die Kredithaie gestoßen, die ebenfalls nach den Thompsons suchten, dann wäre sie erledigt gewesen!
Seine Hände ballten sich neben ihm zu Fäusten, während ihn der Gedanke erschaudern ließ. "Du hältst dich wohl für sehr schlau, was? Ohne einen zweiten Gedanken gefährliche Orte aufzusuchen, als wärst du unverwundbar. Hast du eine Ahnung, wie leichtsinnig das ist?"
Serenas Blick schnellte zu ihm, ihre Fassung begann zu bröckeln, während sie ihn anfunkelte. "Leichtsinnig? Sind Sie im Ernst? Das ist alles deine Schuld! Hättest du mir wirklich geholfen, wie du es versprochen hattest, wäre ich jetzt nicht in diesem Schlamassel! Dir war klar, dass etwas nicht stimmte, und trotzdem hast du nichts unternommen!"
Aiden wandte sich schockiert ab und starrte sie an.
Es dauerte einen Moment, bis er wieder Herr seiner Sinne wurde, dann sagte er: "Gibst du mir ernsthaft die Schuld an all dem?"
"Natürlich gebe ich dir die Schuld! Du bist dafür verantwortlich! Hättest du mir geholfen, wie du es versprochen hast, wäre all das nicht passiert!"
"Ich bin schuld? Ich habe versucht, dich zu schützen, Serena!" Ihre Augen funkelten voller Zorn, als Serena entgegnete: "Mich beschützen? Indem du mich im Unklaren lässt? Was für eine Art von Schutz soll das sein? Würde ich hierher stürmen, wenn du mich vor den Gefahren gewarnt hättest?"
"Also machst du mich jetzt für deine eigenen Handlungen verantwortlich? Ich habe getan, was ich für das Beste hielt, um dich zu beschützen. Aber du tust so, als hätte ich dich absichtlich in Gefahr gebracht!"
Aidens Kiefermuskeln spannten sich an, als er einen Blick zu ihr hinüberwarf. Verdammt! Sie stritten sich und damit konnte er umgehen. Aber warum fing sie an zu weinen?
Serena wandte ihren Kopf ab und versuchte, die Tränen zu verstecken, die ihr in die Augen schossen. Aiden fluchte leise vor sich hin und spürte einen Schuldstoß, als er sah, wie sie um ihre Fassung kämpfte.
Mit einem tiefen Atemzug griff Aiden in seine Tasche, zog sein Taschentuch heraus und bot es Serena mit einer zögerlichen Geste an. "Hier. Benutz das."
Serena sah auf das Taschentuch und dann zu ihm. Sie nahm es langsam, ihre Finger berührten dabei seine. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke und die Intensität des Streits wiche einer zerbrechlichen Stille.
***
Als sie in das Haus traten, wartete die Großmutter bereits im Foyer. In dem Moment, als sie sie sah, eilte sie vor und umarmte sie liebevoll.
"Oh, meine Liebe, Gott sei Dank, du bist sicher!" flüsterte die Großmutter. "Wir haben uns so große Sorgen gemacht."
Serena erwiderte die Umarmung fest, ihre zuvor empfundene Hilflosigkeit und der Ärger drohten überzuschwappen.
"Es tut mir leid, Großmutter. Ich wollte niemanden beunruhigen. Aiden und ich hatten einen Streit, und ich brauchte einfach etwas Abstand. Ich hätte nicht gedacht, dass es so viel Aufsehen erregen würde."
Die Großmutter lockerte die Umarmung ein wenig und tätschelte sanft Serenas Wange. Ihre Blicke trafen sich. "Es ist in Ordnung, wenn man manchmal Abstand braucht. Sollte er wieder mit dir streiten, dann wirf ihn einfach aus dem Büro, okay? Lass ihn entführt werden, aber bring dich nicht selbst in Gefahr."
Serena kicherte, während Aiden den Kopf schüttelte und sich fragte, welchen Zauber Serena wohl über seine Großmutter gewirkt hatte.
Nathanlehnte sich mit einem selbstgefälligen Ausdruck gegen den Türrahmen. "Ja, Aiden, vielleicht solltest du das nächste Mal derjenige sein, der davonläuft. Das würde uns eine Menge Ärger ersparen. Oder ihr beide könntet gemeinsam abhauen..."
Ein scharfer Blick Aidens genügte, und Nathan zuckte nur mit den Schultern. "Jetzt wo deine liebste Serena zurück ist, geh ich schlafen. Gute Nacht, Großmutter."
Die Großmutter klatschte in die Hände und durchbrach so die Spannung. "Gut, genug jetzt. Serena, du solltest etwas essen und dich ausruhen. Du hast heute viel durchgemacht. Aiden, bereite ihr etwas Nahrhaftes und Leckeres zu. Ich bin müde. Ich gehe zurück auf meine Seite des Hauses und lege mich schlafen."
Mit einem vielsagenden Blick, den Aiden nicht ganz deutete, verließ die Großmutter den Raum.
Aiden sah ihr nach, legte seine Jacke ab, seufzte und steuerte geradewegs auf die Küche zu. "Komm, wir essen in der Küche."
Serena blickte ihm auf den Rücken und war ein wenig verwundert. Wollte er wirklich etwas für sie kochen? "Willst du wirklich kochen? Das musst du nicht... Ich könnte auch den Koch bitten..."
"Ich kenne meine Großmutter, sie hat den Koch sicher für heute Abend nach Hause geschickt. Und ich habe Hunger. Dann kann ich auch gleich was für dich zubereiten."
Sie beobachtete, wie er souverän in der Küche hantierte. Sie hatte versucht zu helfen, doch er hatte sie nur angeschaut, bis sie still dasaß und ihn nur noch beobachtete.
Sie wollte etwas sagen, um die Stille zu durchbrechen, doch ihr fielen keine Worte ein. Stattdessen wanderte ihr Blick zu Aidens Händen, die geschickt Gemüse schnitten und im Topf rührten.
Sie konnte nicht anders, als festzustellen, wie stark und fähig seine Handgelenke aussahen, und plötzlich dachte sie: Er hat wirklich attraktive Handgelenke.
Sofort verdrehte sie die Augen über sich selbst, weil sie in ihrer Situation so etwas dachte.
Konzentriere dich, Serena. Jetzt ist nicht die Zeit, seine Handgelenke zu bewundern, egal wie attraktiv sie auch sein mögen, tadelte sie sich leise.
Bald stellte Aiden eine Schüssel Nudeln und Eier vor ihr ab und setzte sich ihr gegenüber, mit einem undurchschaubaren Gesichtsausdruck. Erst als sie halb mit dem Essen fertig war, sprach er auf, reichte ihr sein Handy und sagte: "Ich denke, das solltest du dir ansehen."