webnovel

Zu Spät?

Verdammt, wo ist es? Es kann doch nicht so schwer zu finden sein, murmelte Kaiden vor sich hin, als er wie ein Besessener auf seinem Handy herumdrückte. Er zerlegte regelrecht sein noch so neues Gerät. Hätte es nicht den zusätzlichen Schutz eines neueren Modells, sähe es jetzt aus wie ein gewöhnliches, mit Dellen übersätes Ding mit flackerndem Bildschirm. Zum Glück war dem nicht so, doch Kaiden schien immer mehr in Panik zu geraten, da er es nicht finden konnte. Gerade als er auf einen anderen Menschen zugehen und nach Hilfe wegen seines E-Mail-Problems fragen wollte, wurde er plötzlich angerempelt und stürzte kurz zu Boden. Eine andere Person reichte ihm die Hand und fragte, ob alles in Ordnung sei. Kaiden bejahte dies, dass es nichts war, wovon er wirklichen Schaden nehmen sollte.

„Wie dem auch sei, ich benötige Ihre Hilfe. Ich habe da ein Problem und finde meine E-Mail auf meinem Handy nicht", erklärte er. Doch während er dies sagte und sein Handy in Richtung der Passanten zeigen wollte, wurden seine Füße, trotz Socken und Schuhe, kalt. Ein Schauer lief über seinen Rücken und plötzliches Entsetzen ergriff sein Herz. Mit hektischen Armbewegungen durchsuchte er seinen gesamten Körper. Zuerst in den Hosentaschen, doch der Schock verschlimmerte sich. Auch sein Portemonnaie war weg. Er schaute überall im Radius von einigen Metern, doch kein Handy war in Sichtweite.

Daraufhin sah er weiter herum und erblickte eine Person, komplett in Schwarz gekleidet, die davonrannte. Diese musste sein Handy gestohlen haben und war damit entwischt. Murmelnd sagte er, dass derjenige dafür bezahlen würde, und entschuldigte sich bei dem Passanten, der ihm aufhalf. Er verabschiedete sich und wollte dem fliehenden Räuber hinterher. Doch Kaiden schien eine Abkürzung nehmen zu wollen. Er ging die linke dunkle Gasse entlang und bog mehrmals ab. Mit vollem Tempo rannte er fast im Kreis, nahm so viele Abzweigungen wie möglich. Als er fertig war und den Räuber endlich wieder im Blick hatte, lief er ihm ruhig hinterher. Dieser dachte, er würde unentdeckt entkommen.

Kaiden, extrem leise, dennoch schnell auf den Räuber zulaufend, flüsterte ihm ins Ohr: „Ihr dachtet, ihr könntet mich austricksen, was?" Schreckhaft drehte sich dieser um und schrie, während er ein Klappmesser zückte, da er bemerkte, dass es Kaiden war. Der etwas zitternde Passant von vorhin, der die Dinge gestohlen hatte. Schmunzelnd und lachend über diesen kuriosen Anblick sagte Kaiden: „Eine Person komplett in Schwarz?! Dazu rennt sie weg, wo sie sich doch unter der Menschenmenge hätte verstecken können?! Und dann hilft mir eine völlig fremde Person, die zuvor mindestens 10 Meter entfernt war?!" Das Lachen konnte er einfach nicht unterdrücken.

Er murmelte etwas genervt, dass er zwar etwas neben der Spur wegen des Tumors sei, aber auch nicht so sehr, dass er auf solch lächerliche Tricks hereinfallen würde. „Ihr hättet euch wenigstens mehr Mühe geben können beim Stehlen, wisst ihr. Ich hatte selbst das Klauen meines Portemonnaies in meiner Hosentasche bemerkt. Alleine deine Hand hatte ich gesehen und konnte sie sofort trotz allem zuordnen." Der Passant, der sich als eigentlicher Räuber herausstellte, schien noch nervöser. Doch sein Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig, wurde normal und endete in einem leichten Schmunzeln. Dann realisierte Kaiden, dass etwas passieren musste. In nur einem Bruchteil einer Sekunde, als er diesen Wechsel an Emotionen sah, wusste er, dass sein Komplize von hinten kommen würde. Da er allerdings nicht genau wusste, von wo, wich er einfach seitlich aus. Der andere schlug lächerlicherweise mit einem Stahlrohr ins Leere und geriet ins Ungleichgewicht, indem er leicht nach vorne fiel.

Diesen Augenblick nutzte Kaiden aus und schlug ihm mit der Hand auf den Hinterkopf, so fest wie er konnte, indem er seinen ganzen Körper auf diese eine Stelle verlagerte. Der direkte Schlag voller Schwung schleuderte den schon fast bemitleidenswerten Räuber einige Meter, woraufhin er auch am Boden blieb. Karmesinrote Flüssigkeit breitete sich vom Hinterkopf des Attentäters aus. Kaiden, dessen Hand leicht von Blut beschmutzt war, schlug mit Schwung wie ein Schwert in Richtung Boden, woraufhin einige Blutpartikel herumgeschleudert wurden.

Die dunkle, verschmutzte Gasse wurde nun von tiefrotem Blut durchzogen. Kaiden, der zu den Passanten blickte, erklärte bedauernd, dass sein Freund wahrscheinlich sterben würde, sollte er keine ärztliche Hilfe erhalten. Zudem schien er nun unter schweren Behinderungen zu leiden, nachdem er ihm den Hinterkopf brutal aufgeschlagen hatte. „Wie dem auch sei, ich lasse euch passieren und werde einen Krankenwagen rufen, wenn ihr mir verrät, wo sich der E-Mail-Button befindet."

Der nervöse Passant, beinahe weinend, holte zitternd sein Portemonnaie und sein Handy hervor, ehe er das Messer fallen ließ. Er warf das Portemonnaie zu Kaiden, der seine Hand ausstreckte und näher kam. Etwas vorgebeugt beobachtete er den zitternden Mann, der den E-Mail-Button suchte. Innerhalb weniger Sekunden fand er ihn und fügte ihn dem Startbildschirm hinzu, ähnlich wie man ein Telefon zum Anrufen hinzufügt.

Mit leichtem Sarkasmus sagte Kaiden und lachte leicht: „Du bist ja doch zu etwas gebrauchen." Er klopfte ihm leicht auf die Schulter, während er in die Hocke ging.

Anschließend rief er den Notruf an, erklärte, dass zwei scheinbar leblose Menschen am Boden lägen, und gab schnell ihren Standort durch, bevor er den Anruf beendete. Der Passant, bleich und voller Angst, schloss die Augen und hörte Kaidens beruhigende Stimme, der ihm versicherte, dass er nur Spaß gemacht hatte und nun gehen würde. Der Mann atmete erleichtert aus, doch dann traf Kaidens linker Haken mit großer Geschwindigkeit, gefolgt von mehreren weiteren Schlägen. Einige Zähne fielen heraus, und sein Gesicht war von Schwellungen übersät. Doch Kaiden schien nicht völlig befriedigt zu sein. Mit halber Kraft schlug er erneut zu, diesmal mit dem gleichen Schwung wie zuvor.

Es gab ein lautes Knacken, gefolgt von weiteren Geräuschen, als er seine Hand aus dem offensichtlich zertrümmerten Schädel zog. „Verdammt", flüsterte er leise, „ich glaube, ich habe es etwas übertrieben." Dann, mit lauterer Stimme, fragte er: „Egal, wo ist die Adresse?"

Seine Augen weiteten sich, als er auf die Uhr schaute. Nur noch zwölf Minuten bis 18 Uhr. „Verdammt", murmelte er vor sich hin. Eine Seite auf seinem Handy öffnete sich, offensichtlich eine Routenanzeige zur Adresse. Zu Fuß dauerte es 35 Minuten, mit dem Fahrrad 15 und mit dem Auto 8 Minuten. „Das schaffe ich, wenn ich einfach schnell renne", dachte er erleichtert. Er begann sofort, seine Beine anzuziehen und loszusprinten, jedoch nicht durch die Menschenmengen. Stattdessen rannte er durch seitliche Gassen, bis er eine Möglichkeit sah, auf die Dächer zu gelangen.

Seine Beine bewegten sich beinahe automatisch, ohne Anzeichen von Schmerzen, durch die ewigen, dunklen und stinkenden Gassen. Endlich bot sich eine Steigung aus Mülltonnen und Balkonen als perfekte Aufstiegshilfe dar. Kaiden nutzte sie wie ein edles Pferd, galoppierte förmlich darüber hinweg und nutzte sie als zusätzliche Sprungquelle. Kurz darauf hatte er es geschafft, den etwa zehn Meter hohen Hindernis zu erklimmen, was einen endlosen Sprint über die Gebäude der Stadt auslöste. Schließlich, am Ende der Gebäude, wurde ihm bewusst, dass er bereits an seinem Zielort war – in der Nähe der Promenade, an einer Art Bootsanlegestelle, wo einige Boote festgemacht waren.

Kaiden, der die ganze Zeit immer wieder auf sein Handy starrte, studierte aufmerksam die Route zum Ziel. Als er den Blick davon abwandte, bemerkte er, wie die Gebäude allmählich an Höhe verloren. Schließlich war das letzte Gebäude nur noch drei Meter hoch, von dem aus Kaiden mühelos springen konnte. Die Zeit verging wie im Flug, es war bereits 17:57 Uhr und nur noch 600 Meter bis zum Ziel. Kaiden beschleunigte weiter, bis er schließlich den Zielort kurz vor Schluss erreichte.

Die Person, die auf ihn wartete, war groß und stämmig, mit einem schwarz-bräunlichen Vollbart und halber Glatze. Sein Blick war äußerst bedrohlich und grimmig, als er die Umgebung nach Personen durchsuchte, die zu spät kamen. Dann schien er, nachdem er Kaiden erblickt hatte, weiter in die Ferne zu schauen, um nach anderen Ausschau zu halten. Mit einem grimmigen Ton sagte er, dass noch zwei fehlten. Das etwas größere Boot schien nicht nur von Kaiden besucht zu sein – es war regelrecht überfüllt. Das für vielleicht 80 Personen ausgelegte Boot hatte mindestens 100 Besucher an Bord, weswegen diejenigen, die später kamen, zwar stehen mussten, aber dennoch etwas Platz hatten.

Die Sekunden vergingen, und eine weitere Person – ein junger Mann in etwa im gleichen Alter wie Kaiden – schien im vollen Sprint auf das Boot zuzurasen. Die letzten Sekunden verrannen, und langsam schloss sich die Schranke, die den Eintritt versperrte. Sie schien fast geschlossen zu sein, als der andere junge Mann noch einige Meter entfernt war. Schließlich hob er seine Hand, als wolle er auf die Schranke zeigen, und diese öffnete sich wie von Zauberhand erneut.

Der Mann in einheitlichem Schwarz mit Sternen und einem Namen auf der Brust schien noch grimmiger zu werden. Er erklärte, dass er diese Aktion durchgehen lassen würde. Während der stramme und breite scheinbare Riese mit leicht gesenkter Braue aufstand, um sich besser beim Schreien auszudrücken, rief er mit lauter Stimme: „Ab heute seid ihr Schüler einer Akademie, die dem Vaterland dient. Nennt euch Söldner, Krieger, Erwachte oder wie auch immer, merkt euch nur eins: Ich habe hier das Sagen, und sollte jemand aus der Reihe tanzen, bin ich befugt, euch zu beseitigen! Wenn ihr nicht wisst, was das bedeutet, werfe ich euch ins offene Meer hinaus! Mein Name ist Sergeant Ken, und für viele von euch werde ich in den kommenden Tagen ein bekanntes Gesicht sein, da ihr vielleicht in meinen Lehrgang kommt!"

Mit diesen mächtigen Worten verstummte der zuvor lebhafte Gesprächspegel schlagartig. Der scheinbar feste Boden schien plötzlich loszufahren, als sich das Boot vom Ufer löste. Das überraschte nicht nur Kaiden, sondern auch viele andere, die nun ins Ungleichgewicht gerieten. Kurz darauf fügte Sergeant Ken hinzu, dass Gespräche erlaubt seien, er jedoch nur echte Streitereien und Störungen dulden würde, die er als solche empfand. Daraufhin begannen die Gespräche wieder, wenn auch etwas leiser als zuvor.

Mit dem Beginn der Unterhaltungen stach eine besonders laute Stimme hervor – die des Zuspätkommers. Doch das lag daran, dass seine Worte direkt an Kaiden gerichtet waren. „Ich heiße Alex Fram, und wie ist dein Name?", erklang es nun deutlich über das Deck.