Die enge, kurvenreiche Straße vor ihnen wurde zu beiden Seiten von dichten, hoch aufragenden Bäumen gesäumt, die sich endlos in den nächtlichen Himmel zu erstrecken schienen. Die Scheinwerfer des Autos durchbrachen die Dunkelheit und warfen lange, gespenstische Schatten, die sich über den Waldboden bewegten. Im Auto saß die 18-jährige Emily Statton still da, die Augen fest auf die Straße gerichtet, während ihre Mutter Heather das Lenkrad krampfhaft umklammerte, die Knöchel vor Anspannung weiß.
"Sind wir bald da?" murmelte Heather, ihre Stimme von Erschöpfung geprägt. "Ich möchte wirklich bald das Hotel erreichen. Diese Straße ist unheimlich."
Emily nickte geistesabwesend, doch ihre Gedanken waren weit weg. Ihre Eltern hatten sich kürzlich scheiden lassen und ihre Mutter war in eine neue Stadt gezogen. Die Bäume überragten sie wie stumme Wächter und ihre verschränkten Äste bildeten ein Dach, das das Mondlicht abhielt.
Plötzlich erblickte Emily am Straßenrand etwas – eine flüchtige Bewegung, einen Schatten im Dunkeln.
"Mum, halt an!" rief Emily dringend und durchbrach die Stille.
Heather warf ihrer Tochter einen verwirrten und besorgten Blick zu. "Was ist, Emily?"
"Bitte halte an!" bestand Emily mit erhobener Stimme.
"Ich kann hier nicht anhalten, es ist zu gefährlich." Heather fuhr weiter, aber Emilys Augen waren auf die Stelle fixiert, wo sie den Schatten gesehen hatte.
"Mum, ich habe jemanden gesehen. Sie brauchen unsere Hilfe. Bitte."
Heather zögerte kurz, als mütterliche Instinkte mit der Angst vor dem Unbekannten rangen. Doch bei Emilys entschlossenem Blick gab sie nach und stoppte das Auto auf dem Kiesstreifen.
Noch bevor Heather etwas sagen konnte, hatte Emily bereits den Gurt gelöst und war aus dem Auto gestürmt, zurück zu der Stelle, an der sie den Schatten wahrgenommen hatte.
"Emily, warte!" rief Heather ihr nach, ihr Herz schlug vor Furcht schneller. "Geh nicht in den Wald! Es ist gefährlich!"
Doch Emily hörte nicht auf sie. Etwas Unfassbares hatte sie zu diesem Ort gezogen. Sie erreichte den Wegesrand und schaute ins Dunkel, ihre Augen gewöhnten sich langsam an das schummrige Licht.
Dort lag, nur wenige Fuß von der Straße entfernt, mitten auf dem Waldboden ein junges Mädchen in Emilys Alter. Sie war bewusstlos, ihre Kleider waren so zerrissen, dass sie fast entblößt war, ihr Gesicht voller Prellungen und Wunden, und ihre blonden Haare waren verschmutzt und verklebt mit Blut.
Heather erreichte Emily, außer Atem und von Angst gezeichnet. "Oh Gott", keuchte sie und eilte zu dem Mädchen. Sie kniete sich hin, suchte nach dem Puls und untersuchte die Verletzungen. "Sie lebt, aber sie ist übel zugerichtet. Es sieht wie ein Unfall mit Fahrerflucht aus."
Emily schüttelte verwirrt den Kopf. "Aber warum sollte sich ein Unfallopfer so weit im Wald befinden? Das macht keinen Sinn."
Heather hielt inne, als sie überlegte. Emily hatte recht – an der Situation stimmte etwas nicht. Das Mädchen war nicht einfach am Straßenrand, sondern im Wald, als hätte es vor jemandem oder etwas fliehen wollen.
Emily schluckte. "Vielleicht wurde sie angegriffen."
Heather weiteten sich die Augen bei diesem Gedanken, ihr Herz sank bei dem Vorstellung der Tortur des Mädchens.
"Wir können sie nicht einfach hier lassen", sagte Emily mit bebender Stimme. "Wir müssen ihr helfen."
Heather nickte entschlossen. "Du hast recht. Lass uns sie ins Auto bringen. Wir fahren ins Krankenhaus und holen ihr die nötige Hilfe."
Sie hoben das Mädchen behutsam auf und trugen es zurück zum Wagen. Ein tiefes Unbehagen erfüllte Emily, während sie gingen. Der Wald schien sie einzuhüllen, die Schatten wurden länger und dunkler, als ob die Bäume selbst sie beobachteten.
Als sie das Auto erreichten, legten sie das Mädchen vorsichtig auf die Rückbank und hüllten sie in eine Decke, um sie warm zu halten. Emily setzte sich zu ihr, hielt ihre Hand und flüsterte tröstende Worte, auch wenn das Mädchen sie nicht hören konnte.
Heather stieg schnell wieder hinter das Steuer, die Nerven angespannt. Sie startete den Wagen und fuhr zurück auf die Straße, warf dabei besorgt einen Blick auf Emily im Rückspiegel."Denkst du, es geht ihr bald besser?" fragte Emily leise, ohne ihren Blick von dem bewusstlosen Mädchen abzuwenden.
"Ich hoffe es," antwortete Heather mit zittriger Stimme. "Wir bringen sie so schnell wie möglich ins Krankenhaus. Die Ärzte dort werden wissen, was zu tun ist."
Emily wickelte das bewusstlose Mädchen vorsichtig in eine Decke, ihre Hände zitterten leicht, als sie den Stoff um den malträtierten Körper des Mädchens legte. Trotz des Schmutzes und der Blutergüsse, die ihr Gesicht verunstalteten, war ihre Schönheit unverkennbar. Ihr Haar, obwohl verfilzt und schmutzig, war seidig blond und selbst in diesem Zustand hatte sie etwas Ätherisches an sich. Emily konnte nicht anders, als sich zu fragen, wer sie war und was sie in diesen dunklen, einsamen Wald geführt hatte.
In Gedanken versunken, erschrak Emily, als das Mädchen plötzlich die Augen öffnete. Panik blitzte in dem Gesicht des Mädchens auf, und noch bevor Emily reagieren konnte, stieß das Mädchen einen erschrockenen Schrei aus, der im Auto widerhallte.
"Hey, hey, alles ist in Ordnung! Du bist sicher!" sagte Emily schnell und versuchte, sie zu beruhigen. Sie streckte die Hand aus und berührte sanft den Arm des Mädchens, in der Hoffnung, sie zu beruhigen.
Das Schreien des Mädchens verstummte in ihrer Kehle, und sie starrte Emily mit großen, verängstigten Augen an. Einen Moment lang hörte man nur ihr schweres, unregelmäßiges Atmen. Dann begann das Mädchen zu Emilys Überraschung, die Luft zu schnuppern, ihre Nase zuckte wie die eines misstrauischen Tieres.
Emily warf einen Blick auf ihre Mutter, die sich im Fahrersitz umgedreht hatte und deren Gesicht von Sorge gezeichnet war. Heather hob fragend eine Augenbraue, fand das Verhalten des Mädchens offensichtlich ebenso seltsam wie Emily.
Schließlich schien sich das Mädchen zu beruhigen, ihre Atmung verlangsamte sich, als sie sich wieder auf den Sitz zurücklehnte. Ihr Blick blieb jedoch wachsam, ihre Augen huschten zwischen Emily und Heather hin und her.
Heather brach die Stille. "Wir bringen dich ins Krankenhaus", sagte sie sanft. "Du bist verletzt und musst untersucht werden."
Bei Heathers Worten weiteten sich die Augen des Mädchens vor Schreck. Sie schüttelte energisch den Kopf. "Nein! Ich brauche kein Krankenhaus. Mir geht es gut", behauptete sie mit zittriger, doch entschlossener Stimme.
Heather runzelte die Stirn und tauschte einen besorgten Blick mit Emily aus. "Dir geht es eindeutig nicht gut", sagte Heather leise. "Du warst bewusstlos und hast überall Prellungen. Du brauchst medizinische Hilfe."
Das Gesicht des Mädchens verzog sich, und sie senkte den Blick auf ihre Hände, die in ihrem Schoß zitterten. Sie schien mit etwas zu kämpfen, ihre Lippen waren zu einem dünnen Strich zusammengepresst, als würde sie Tränen zurückhalten.
Emilys Herz schmerzte beim Anblick der offensichtlichen Verzweiflung des Mädchens. Sie beugte sich näher heran, ihre Stimme war sanft.
"Ist schon gut. Wir wollen dir nur helfen. Kannst du uns sagen, wer du bist? Was ist mit dir passiert?"
Lange antwortete das Mädchen nicht. Sie starrte auf ihre Hände und runzelte nachdenklich die Stirn. Schließlich atmete sie tief durch und blickte zu Emily auf, ihre Augen voller Traurigkeit und etwas anderem – etwas, das Emily nicht genau zuordnen konnte.
"Mein Name ist Anne", sagte sie leise, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. "Anne Grant."
"Anne", wiederholte Heather, ihre Stimme sanft und tröstlich. "Schön, dich kennenzulernen, Anne. Aber wir müssen trotzdem wissen, was passiert ist. Warum warst du im Wald? Wer hat dir das angetan?"
Anne wandte den Blick ab, ihre Augen wurden trübe vor Kummer. "Ich kann es nicht sagen", murmelte sie.
Emily und Heather tauschten einen weiteren besorgten Blick aus. Annes Zögern, darüber zu sprechen, vertiefte nur das Geheimnis, das sie umgab.
"Anne", sagte Emily sanft, "du musst uns nicht sofort alles erzählen. Aber wir können dich nicht einfach hier lassen. Wenn du nicht ins Krankenhaus möchtest, gibt es jemanden, den wir anrufen können? Jemand, der dir helfen kann?"
Anne schüttelte nochmals den Kopf, dieses Mal entschiedener. "Nein", sagte sie, ihre Stimme wurde fester. "Es gibt niemanden. Ich muss einfach nur weg. Bitte."
Heather seufzte, offensichtlich hin- und hergerissen. Einerseits wollte sie Annes Wünsche respektieren, andererseits wusste sie, dass sie sie nicht allein lassen konnten. Sie drehte sich zu Emily um, suchend nach einer Antwort in den Augen ihrer Tochter.
Emily atmete tief durch, spürte das Gewicht der Entscheidung, die sie treffen mussten. "Wir können dich nicht einfach irgendwo absetzen", sagte sie sanft. "Wir sind neu in der Stadt, aber du kannst mit uns in unser Hotel kommen. Wir werden dort überlegen, was zu tun ist. Vielleicht können wir, wenn du dich ausgeruht hast, mehr darüber reden, was passiert ist."
Anne zögerte, ihr Blick huschte zwischen Emily und Heather hin und her. Schließlich nickte sie mit einem Ausdruck stiller Resignation. "Okay", sagte sie leise. "Danke."
Emily konnte nicht umhin, sich zu fragen, vor welcher Art von Ärger Anne floh und ob sie gerade unwissentlich in etwas viel Gefährlicheres hineingeraten waren.