Heute Mittag will ich auf dem Markt vorbei sehen. Aber was mache ich in der Zwischenzeit? Ich denke ich werde mich ein bisschen im östlichen Teil der Stadt umsehen. Also verwandelte ich mich und wie schon am Tag zuvor, schlich ich aus dem Schloss. Die Häuser auf dem Weg gehörten alle mittel- und unterklasse Bürgern. Wenige von ihnen verwendeten Stein als Baumaterial und noch weniger hatten ein ordentliches Fundament. Die meisten waren einfache Holzhäuser.
An der grenze zum Ostteil war ein großes Gebäude, das so gar nicht ins Bild des Stadtteils passte. Es war ein Tempel, gebaut um den Göttern dieser Welt die Ehrerbietung zu erweisen. Es war fast wie ein Palast. Aus weißen polierten Steinen gebaut, stand es da wie ein einzelner Stern im Zentrum eines schwarzen Nachthimmels. Wie angewurzelt stand ich davor und war wie gefesselt von diesem Anblick. Doch nicht einmal das konnte mich darauf vorbereiten was mich in seinem inneren erwartete. Als ich das große Holztor aufschob und den Tempel betrat wurde ich von einem Priester begrüßt.
Sei willkommen mein Kind. Bist Du etwa ganz alleine hier? Kann ich dir irgendwie helfen? Fragte der ältere Mann in weiß goldenen Gewandt. Was ist das für ein Ort? Fragte ich ihn immer noch total erstaunt, während ich meinen Blick durch die gigantische Halle schweifen lies. Riesige Statuen standen an den Wänden und dienten als Pfeiler. Ein großer Altar war auf einem Podest am anderen Ende der Halle. Hörst Du mir überhaupt zu? Fragte der Mann. Seine Frage riss mich aus meiner Bewunderung. Äh, ja. Antworte ich etwas beschämt. Das hier ist einer der Tempel für die Götter. Hier beten wir um ihre Gunst und Gnade, erhalten ihre Wünsche und Aufgaben, danken ihnen für ihren Segen und finden Ruhe unter ihren Schützenden Händen. Erklärte er mir.
Hier in dieser Halle verspürte ich erstmalig Geborgenheit. Und ich spürte eine Präsenz die ich nicht erklären konnte. Sie kam von einer der Statuen. Langsam und wie unter dem Einfluss eines Zauber ging ich auf die Statue einer wunderschönen Frau zu. Der Priester folgte mir. Ich blieb vor ihr stehen. Wer ist das? Fragte ich den Priester, der hinter mir stand. Das ist Leneth, die Göttin des Lebens. Antwortete er. Ich ging auf die Knie, senkte meinen Kopf und faltete meine Hände. Gerade als ich anfangen wollte zu beten war ich von gleißendem Licht umgeben.
Du bist gekommen. Ich habe auf dich gewartet. Sagte eine zarte, warme, liebevolle Frauenstimme sanft. In ihrer Stimme lagen so viele Gefühle der Zuneigung, dass nur sie zu hören mir fast Tränen des Glücks entlockte. Und doch kam mir diese Stimme vertraut vor. Dann erinnerte ich mich. Du warst da, an dem Tag. Als mein altes Leben endete. Sagte ich. Das stimmt. Du erinnerst dich? Fragte sie mich. Nur an die Stimme. Antwortete ich ihr sanft und ruhig. Ich war es die deine Seele auf ihrem Weg in unsere Welt geleitet hat. Sagte sie. Ich danke Dir! Ich danke Dir so sehr. Ich wollte meine Dankbarkeit noch mehr ausdrücken doch übermannten mich meine Gefühle und ich konnte die Tränen nicht länger zurück halten.
Genau das ist der Grund warum ich dich in diese Welt geholt habe. Du bist so eine gute Seele, mitfühlend, liebevoll, treu, klug, ehrenhaft, stolz und mit einem unbändig baren Willen. Ich hatte schon lange ein Auge auf dich geworfen und wollte dich unbedingt in unsere Welt bringen. Doch musste ich warten bis die Zeit reif dafür war. Es tut mir leid, dass ich nichts tun konnte um dein Leiden in deinem alten Leben zu mindern, aber es ist uns Verboten uns in Welten von anderen Göttern einzumischen. Sagte sie. In ihrer Stimme lagen Schuldgefühle. Bitte, ich bin Dankbar für das neue Leben und eine weitere Chance. Ihr müsst Euch für nichts entschuldigen. Sagte ich schluchzend.
Dieser tolpatschige Trottel auf der Erde hatte versehentlich das Schicksal, das für einen Verbrecher vorbestimmt war mit deinem Leben verknüpft. Aber wenn eine Seele einmal ihr Leben begonnen hat, dann greifen wir nicht mehr aktiv ein. Darum habe ich dich in diesem Leben von dieser Last befreit. Ich habe dir kein Schicksal auferlegt. Daher steht es dir frei dein Leben zu leben so wie Du es dir wünscht. Aber eine Bitte habe ich an Dich. Die Menschen in dieser Welt sind verzweifelt und kämpfen jeden Tag um ihr überleben. Gib ihnen ein wenig von deinen Werten und Idealen ab und zeige ihnen einen Weg in eine Welt die nicht von Angst und Verzweiflung getrieben wird. Sagte sie zu mir.
Ich habe aus meinem letzten Leben gelernt niemals leichtfertig einen Schwur zu leisten. Aber ich schwöre, dass ich mein Bestes geben werde um Ihre Bitte zu erfüllen. Sagte ich während ich niederkniete und meinen Kopf senkte. Dann spürte ich eine Berührung die sanft meinen Kopf anhob. Ich hätte nicht erwartet, dass Du noch einmal jemanden etwas schwören würdest. Ich dachte der Schmerz säße zu tief in deiner Seele. Aber scheinbar habe sogar ICH deine Stärke unterschätzt… oder deinen Leichtsinn. Sagte sie und kicherte. Dann wurde das gleißende Licht schwächer und ich konnte ihre Gestalt erkennen. Sie war das schönste Wesen, dass ich je gesehen habe. Wunderschön. Rutschte es mir versehentlich raus. Amüsiert kicherte sie mich an mit einem Lächeln, dass einem alle Sorgen nahm. Mit beiden Händen führte sie meinen Kopf zu ihrem Mund. Sie küsste mich leicht auf die Stirn. Ich werde Dir meinen Segen mit auf den Weg geben. Möge er Dir den Pfad erleichtern, den Du in deinem Leben wählst. Sagte sie, während ihre Gestalt verblasste und ihre Worte verhallten.
Dann befand ich mich auf einmal wieder im Tempel. Ein paar Tränen liefen meine Wangen herunter. Noch immer hallten Leneth ihre Worte durch meine Gedanken. Ein gleißendes leuchtendes Symbol erschien auf meiner Brust, dass aber schnell wieder verblasste. Ich erhob mich und ging an die Statue von Leneth. Dann küsste ich die Füße dieser Riesigen Statue. Vielen Dank, für alles! Bis bis wir uns nächsten mal sehen. Flüsterte ich ihr zu. Dann drehte ich mich um. Der Priester stand mit offenem Mund da und sah mich an. Sein Gesicht drückte irgendetwas zwischen Erstaunen und Ungläubigkeit aus. Junge! Zieh dein Hemd hoch! Sagte er hastig. Ich wusste zwar nicht was er vor hat aber ich tat ihm den Gefallen. Er kam näher und inspizierte meine Brust.
Tatsächlich! Das ist das Symbol von Leneth, der Baum des Lebens. Junge, Du wurdest von der Göttin des Lebens gesegnet! Sagte er erfreut. Ich weiß, sie hat gesagt, dass sie mir ihren Segen geben würde. Antwortet ich ihm, während ich mein Hemd wieder ordentlich anzog. Da entfuhren ihm sämtliche Gesichtszüge. Die Göttin hat zu Dir gesprochen?! Sagte er entsetzt… eigentlich war es sogar schon fast geschrien. Ja. Antwortete ich gelassen. Er fiel vor der Statue auf die Knie. Vielen Dank! Sagte er wieder und wieder. Also der Typ macht mir ein bisschen zu viel Drama. Mit der ganzen Aufmerksamkeit, die er auf uns zieht fühle ich mich gar nicht wohl. Am besten mach ich mich ganz schnell wieder aus dem Staub. Ich ging zügig zum Ausgang. Wo willst Du hin? Fragt der Mann auf einmal, als ich bereits in der Tür stand. Verlegen kratzte ich mir am Kopf. Ich muss noch etwas wichtiges erledigen. Wir sehen uns bestimmt wieder. Rief ich ihm zu, winkte zum Abschied und verschwand bevor er noch etwas sagen konnte.
Ich ging durch den Garten, der den Tempel umgab in den östlichen Stadtteil. Dieser Teil der Stadt war ohne jeden zweifel die Slums. Die Häuser in denen die Menschen hier lebten waren… eigentlich waren es keine Häuser, nicht einmal der Begriff Hütte würde zutreffen. Es waren zum Großteil willkürlich zusammengehauene Bretterbuden. Der Gestank hier war grotesk. Das Konzept von Hygiene quasi nicht vorhanden. Die Leute kauerten sich an kleine Lagerfeuer um sich zu wärmen. Wenige von ihnen hatten dünne Lappen um sie über sich zu werfen, der Begriff „Decke" wäre zu weit hergeholt um das zu beschreiben was ich sah. Dann sah ich einen Typen, der vor einem Kessel stand. Er kochte für alle in der näheren Umgebung eine Suppe. Wobei es eigentlich nur heißes Wasser war, in dem ein paar einzelnen zerkleinerte Zutaten schwammen. Der gesundheitliche Zustand der Menschen hier war eine Bakterie weit von einer Pandemie entfernt.
Das ist Wahnsinn. Wie kann so etwas sein? Dachte ich. Ein kleines Mädchen kam auf mich zu und zupfte leicht an meiner Hose. Hast du ein bisschen Essen? Fragte sie mit schwacher und leiser Stimme. Es tut mir leid meine Kleine, ich habe leider nichts dabei. Sagte ich schweren Herzens zu ihr. Das junge Mädchen ging sofort weiter. Sie war nicht deprimiert, denn es war was sie erwartete. Zielstrebig suchte sie nach der nächsten Person die sie fragen konnte. Dann dachte ich an die Göttin Leneth und ihre Bitte an mich. Du hast recht, die Menschen hier brauchen Hilfe. Sagte ich zu ihr in meinem Kopf. Nun, ich habe ein Ziel in dieser neuen Welt, Zeit einen Plan zu entwerfen. Aber zu aller erst muss ich etwas für diese Leute hier tun!