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Der Unbekannte Drache

„Er schläft noch," sagte Elara, als sie mit leichten Schritten zu mir trat. Ihre Finger glitten sanft über die riesigen Schuppen des Drachen, während sie die Verletzungen begutachtete. „Seine Wunden heilen gut, aber die Magie... Sie hat ihn schwerer verletzt, als wir dachten."

Ich stand am Rand der Krankenstation und beobachtete den schlafenden Drachen. Der riesige Raum, der normalerweise für mehrere Drachen ausgelegt war, schien gerade so groß genug für ihn. Sein roter Körper hob und senkte sich gleichmäßig, aber selbst im Schlaf war er unruhig. Seine Klauen zuckten, seine Flügel bewegten sich unwillkürlich, als ob er sich gegen unsichtbare Ketten wehrte.

„Weißt du, wie er heißt?" fragte Darak, der sich neben mich stellte, die Arme vor der Brust verschränkt.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Keiner von uns hat ihn sprechen hören. Vielleicht hat die Magie ihm nicht nur seine Freiheit genommen, sondern auch seine Stimme."

Darak nickte nachdenklich. „Wir müssen vorsichtig sein. Wenn er aufwacht und glaubt, wir wären Feinde, könnten wir einen echten Kampf erleben."

„Wir werden es schaffen," sagte Elara sanft. Sie war stets diejenige unter uns, die das Gute in jedem suchte – selbst in Drachen, die uns gezwungenermaßen angriffen. „Er ist nur eine weitere Seele, die leidet. Wir müssen ihm zeigen, dass er hier sicher ist."

„Wenn er aufwacht," fügte ich hinzu, „müssen wir ihm klar machen, dass er nicht mehr kontrolliert wird. Dass er... frei ist."

Ich ging näher an den Drachen heran, konnte den leichten Geruch von Rauch und Asche in der Luft wahrnehmen, der ihn umgab. Wer auch immer er war, er hatte Feuer in seiner Seele, das war klar. Und doch... da war auch eine Traurigkeit, die tief in seinen Augen lag, selbst jetzt, wo sie geschlossen waren.

„Wir sollten ihm einen Namen geben," sagte ich schließlich. „Zumindest bis wir wissen, wie er wirklich heißt."

Darak lachte leise. „Du willst einem Drachen einen Namen geben? Was, wenn er ihn nicht mag?"

„Ich glaube kaum, dass er es uns übel nimmt," antwortete ich und musterte das schlafende Wesen. „Vielleicht nennen wir ihn... Feuerherz."

Elara kicherte. „Das klingt, als wärst du in eine Geschichte aus einem Märchenbuch geraten."

Ich lächelte. „Vielleicht. Aber irgendwie... fühlt es sich richtig an."

————

Die Dunkelheit umhüllte mich wie ein schwerer Nebel, und doch spürte ich das Gewicht von allem, was geschehen war. Die Flammen, die Zerstörung... das Blut, das ich vergossen hatte. Ich hatte es nicht gewollt. Ich hatte versucht, mich zu wehren, doch die Magie war zu stark gewesen. Sie hatte mich gezwungen, Dinge zu tun, die ich niemals tun wollte.

Aber jetzt war es still. Keine Befehle. Keine Fesseln. Nur diese tiefe, allumfassende Stille.

Langsam drang Licht durch den Nebel meiner Gedanken. Es war schwach, aber es war da. Ich spürte eine Kühle unter meinem Körper – nicht die brennende Erde oder die Hitze eines Schlachtfelds, sondern etwas Sanfteres. Die Schmerzen in meinen Muskeln und meinen Flügeln waren immer noch da, aber sie waren gedämpft, als ob sie jemand verbannt hätte.

Langsam öffnete ich die Augen.

Über mir erstreckte sich ein Dach aus Holz und Stein, nicht der freie Himmel. Die Wände um mich herum waren hoch, aber nicht bedrohlich. Und die Luft... sie roch nicht nach Rauch oder Tod. Es war anders. Friedlich.

Ich bewegte meinen Kopf, so vorsichtig ich konnte. Jede Faser meines Körpers schien noch träge, als ob die Magie mich immer noch in ihren Fesseln hielt. Doch da war etwas anderes. Ich konnte atmen, frei atmen.

Dann hörte ich Stimmen.

„Er bewegt sich!"

Es war eine weibliche Stimme, sanft und beruhigend. Sie klang nicht wie die rauen Befehle, die ich gewohnt war. Ich versuchte, mich aufzurichten, aber meine Muskeln gehorchten mir nicht. Mein Körper war schwer, meine Flügel steif. Und meine Kehle... Ich wollte sprechen. Ich wollte ihnen sagen, dass ich es nicht wollte. Dass ich gezwungen wurde.

Aber kein Laut kam über meine Lippen.

Die Schritte wurden lauter, und bald sah ich sie. Menschen. Drei von ihnen, näher kommend, aber nicht bedrohlich. Eine Frau mit langen, dunklen Haaren trat vorsichtig an mich heran, ihre Augen voller Mitgefühl. Neben ihr stand ein breitschultriger Mann, der mich beobachtete, als wäre ich eine Herausforderung, die er unbedingt bewältigen wollte. Und die Dritte, eine blonde Frau, lächelte beruhigend.

„Du bist in Sicherheit," sagte die Frau mit den dunklen Haaren. „Niemand wird dir hier wehtun."

Ich blinzelte langsam, versuchte, die Worte zu verstehen. In Sicherheit? Wie konnte das sein? Ich war niemals sicher gewesen. Die Magie... hatte sie mich wirklich verlassen? Ich konnte es nicht glauben.

„Wir wissen, dass du nicht sprichst," fügte die blonde Frau hinzu. „Aber wir werden dir helfen. Wir sind nicht deine Feinde."

Ich wollte ihr glauben. Ich wollte diesen Worten vertrauen, aber etwas tief in mir hielt mich zurück. Was, wenn das alles nur eine weitere Falle war? Was, wenn ich nur dazu gebracht wurde, mich zu beruhigen, damit sie mich erneut zwingen konnten?

„Wir haben dir einen Namen gegeben," sagte die Frau mit den dunklen Haaren schließlich. „Wir nennen dich Feuerherz. Nur, bis du uns deinen richtigen Namen sagen kannst."

Feuerherz? Es fühlte sich... fremd an. Nicht wie ich, aber auch nicht falsch. Ich war mehr als das Feuer. Ich war mehr als der Drache, der sie angegriffen hatte. Aber sie wussten es nicht. Sie konnten es nicht wissen.

Und ich konnte es ihnen nicht sagen.

Ich schloss meine Augen wieder. Vielleicht war es besser, einfach noch ein wenig länger in der Dunkelheit zu bleiben.