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"Richguy"

Martin blickte auf Jonathan, der ihm gegenübersaß, und seufzte ratlos.

"Captain, machen Sie heute Überstunden?" fragte Jonathan etwas unbeholfen.

"Eigentlich hätte ich vor drei Minuten schon Feierabend haben sollen, aber Sie..." Martin stockte kurz, "erklären Sie mir bitte, was passiert ist."

"Ich war auf dem Heimweg von der Arbeit, geriet in einen Raubüberfall und habe dann jemanden getötet, ohne mich kontrollieren zu können", sagte Jonathan mit einem bitteren Ausdruck, "werde ich dafür bestraft?"

Martin dachte einen Moment nach und sagte dann: "Nein, diese beiden Personen hatten Vorstrafen, und Sie handelten in Notwehr. Sie gehören zur Ermittlungsabteilung, und obwohl Sie nur ein Praktikant sind, genießen Sie Immunität. Sie müssen keine rechtliche Verantwortung für Verletzungen oder Todesfälle übernehmen, die Sie im Rahmen Ihrer offiziellen Pflichten verursachen. Diese Angelegenheit können wir intern regeln, ohne sie an andere Abteilungen weiterzuleiten, da dies das Verfahren nur verkomplizieren würde."

Jonathan wollte ansetzen: "Captain, ich war doch nicht..."

Martin blickte ihn streng an. "Sie waren auf offizieller Dienstzeit."

Jonathan nickte: "...verstanden."

Martin beabsichtigte, seine Position zu nutzen, um die Situation zu bereinigen.

"Captain Martin, der Autopsiebericht ist eingegangen", meldete Moss.

"Zeigen Sie ihn mir," verlangte Martin augenblicklich.

Der Holo-Projektor des Büros flackerte auf, und die Bilder der auf dem Autopsietisch liegenden Leichen wurden lebhaft angezeigt. Das eine Gesicht war entsetzlich entstellt, der Schädel so zertrümmert, dass es pixeliert erschien, und der andere Körper wies eine dezente, mit Blut bedeckte Messerstichwunde in der Brust auf.

Jonathan senkte die Augen und wich dem Blick aus.

"Gary starb an einer Schädelfraktur, die Schläfe wurde von einem schweren Gegenstand getroffen. Der zersplitterte Schädel durchdrang das Gehirn und verursachte den Tod. Todeszeitpunkt vor weniger als einer Stunde."

"Joe starb durch den Durchstoß seiner Brust mit einem scharfen Gegenstand. Das Objekt durchbohrte genau die dritte und vierte Rippe links, traf das Herz und tötete ihn sofort. Auch hier war der Todeszeitpunkt vor weniger als einer Stunde."

Martin hob überrascht die Augenbrauen und sah Jonathans fahles Gesicht. "Ich dachte, Sie hätten wirklich keine Emotionen, wenn ich mich recht erinnere, ist das das erste Mal, dass Sie jemanden getötet haben."

"Wie könnte ich denn keine Gefühle dabei haben?" Jonathan fasste sich an die Stirn, er spürte einen Anflug von Übelkeit. Glücklicherweise hatte er in den letzten Stunden nichts gegessen, sonst hätte es ihm schlecht werden können.

Im Augenblick des Vorfalls hatte er nicht viel empfunden, eher eine Art Unwirklichkeit. Das Geschehen ging über seine Vorstellungskraft hinaus. Doch jetzt, als er Moss' Autopsiebericht zuhörte, drängten sich die Szenen unnachgiebig in sein Bewusstsein und brachten ihn zurück in die raue Realität.

"Erbrechen Sie nicht in meinem Büro. Gehen Sie links hinaus zur Toilette", wies Martin ihn an. "Sie haben in der Schule in den Grundkompetenzen gut abgeschnitten, Ihre internen Rekrutierungsergebnisse habe ich gesehen: Spurensuche, Kampf, Untersuchung und Schießen – in diesen praktischen Kursen haben Sie fast volle Punktzahl erreicht. Jonathan, Sie sind der herausragendste Neuling der Ermittlungsabteilung der letzten Jahre."

Er reichte Jonathan ein Glas eiskaltes Wasser. "Trinken Sie. Das wird Ihnen helfen."

Jonathan trank das Wasser in einem Zug aus. Das kühle Gefühl half ihm, seine Gedanken etwas zu beruhigen.

"Eigentlich sollten Sie zum Kriminalkommissariat gehen, aber ich habe Sie zu uns geholt. Die Arbeit im Außendienst ist härter als in anderen Abteilungen. Wir setzen uns direkt der Gefahr aus, konfrontieren Kriminelle direkt, erleben viele unerwartete Situationen während der Streifen und stehen sogar vor lebensbedrohlichen Herausforderungen", sprach Martin. "Wenn Sie sich an diese Art von Arbeit nicht anpassen können, können Sie nach Ihrem Praktikum einen Wechsel in ein anderes Team beantragen."

Jonathan antwortete nicht.

"Überlegen Sie es sich. Ich persönlich hoffe, dass Sie bleiben. Unserem Team im Außendienst fehlen neue Mitglieder", fügte er hinzu. "Übrigens, wohnen Sie in der Baker Street im Hafenviertel?"

"Ja", antwortete Jonathan.

Martin zog die Stirn in Falten. "Das ist ein sehr unsicheres Gebiet. Die Banden dort sind schwer unter Kontrolle zu bringen, es gibt monatlich Morde. Im Hafenviertel wird am meisten illegal gehandelt." Er schlug vor: "Suchen Sie sich einen sichereren Ort zum Leben."

"Aber ich kann es mir nicht leisten, umzuziehen", sagte Jonathan traurig. "Das Haus wurde mir von meinen Eltern vererbt, ich habe mein Studium über Kredite finanziert und schulde der Bank dreihunderttausend...."Martin war kurzzeitig sprachlos.

"Du kannst im Personalwohnheim wohnen, wenn du fest angestellt bist", sagte er. "Du hast nur noch eine Woche Probezeit, also lass es langsam angehen. Außerdem scheint dein persönlicher Kommunikator bei deinem letzten Einsatz beschädigt worden zu sein, du..."

"Kann ich einen neuen bekommen? Der Verlust ging auf dienstliche Belange zurück", fragte Jonathan leise.

Martin lachte: "Auf keinen Fall."

Er beugte sich hinunter und holte eine Schachtel aus seiner Schreibtischschublade. "Das ist der Standard-Kommunikator, den die Ermittlungsabteilung an alle festen Mitglieder ausgibt. Es ist nur ein einfaches Modell. Du kannst es vorerst benutzen."

Jonathan nahm die Schachtel entgegen und sagte: "Danke, Captain."

Er konnte sein wahres Wesen nicht verbergen und fügte hinzu: "Kümmern sich andere Captains genauso um das Wohl ihrer Teammitglieder und Untergebenen wie Sie? Wenn sie nicht Ihre Sanftmut und Fürsorglichkeit teilen, würde ich mich nicht dazu bewegen, das Außenteam zu verlassen."

Martin, "..."

Er hustete trocken und tat so, als hätte er es nicht gehört.

"Wenn du mit dem Töten wirklich nicht zurechtkommst, geh zum Büro für psychologische Therapie", sagte Martin. "Direktor James von dort ist ein hervorragender Therapeut, er kann dir dabei helfen, deine Sorgen zu bewältigen."

...

Daniel stand wie ein Tor in der Lobby des Untersuchungsgebäudes und suchte sich einen Platz zum Warten. Seine Akte war längst fertig. Als Zeuge hatte er nur begrenzte Aussagen zu machen. Der Vernehmungsbeamte setzte ihm ein hochtechnologisches Gerät, ähnlich einem Lügendetektor, auf, stellte ihm einige Fragen und ließ ihn dann ziehen.

Zehn Minuten vergingen, die Etagenzahlen im Fahrstuhl sanken, die Türen öffneten sich, und Jonathan trat heraus.

"Du bist immer noch hier?" fragte Jonathan überrascht.

"Ich habe auf dich gewartet", sagte Daniel.

"Dann lass uns schnell nach Hause gehen, der Schwebzug fährt um Mitternacht nicht mehr", sagte Jonathan.

Daniel nickte schnell, er hatte darauf gewartet, dass Jonathan dies sagen würde. Die Zweite Welt hatte längst eine bargeldlose Gesellschaft angenommen, und er wusste nicht, wie er an diesem unbekannten Ort zahlen oder den Weg nach Hause finden sollte. Was, wenn er sich verirren würde? Er dachte an Jonathan. Jonathan wohnte ebenfalls in der Baker Street, und sie konnten gemeinsam zurückschreiten, wenn er fertig war.

Jonathan führte Daniel routiniert zum Bahnhof.

Daniel sah sich neugierig um. Als er die mitten in der Luft projizierten Werbeanzeigen sah, keuchte er leise und war von der Brillanz der holografischen Bildtechnologie beeindruckt.

"In welchem Semester bist du?" erkundigte sich Jonathan beiläufig.

"Ich bin Erstsemester, ich habe heute Morgen meine Zulassung erhalten und wurde in die mechanische Abteilung aufgenommen", sagte Daniel und kratzte sich am Kopf.

"Das Studium am Black Sea College ist nicht billig, hast du schon herausgefunden, wie du einen Kredit aufnehmen kannst?" fragte Jonathan weiter nach und fügte vorsätzlich hinzu: "Ich musste viele Umwege in Kauf nehmen, um ans College zu kommen. Nur so als Warnung: Halte dich von Kredithaien fern."

"Verstanden." Daniel fragte nach: "Wie teuer ist das Studium... genau?"

Jonathan erinnerte sich an die Informationen, die er gesehen hatte: "Über zweihunderttausend Dollar pro Jahr, ohne die Lebenshaltungskosten."

"Was?!" Daniel war schockiert. "Warum überfallen sie uns nicht gleich? Das ist doch eine Universität, die Talente fördern soll! Wie viele herausragende Studenten werden wohl von solch hohen Studiengebühren abgeschreckt?"

Jonathan schaute Daniel seltsam an und senkte schwächlich die Stimme: "Diese Studiengebühren sind unverschämt, das ist fern jeder Vernunft!"

"Wir können nichts daran ändern, das sind nun mal die Regeln", sagte Jonathan.Daniel murmelte vor sich hin: "Was für eine verkorkste Welt..."

Bildungsmonopol, große Vermögensunterschiede und Klassenunterschiede prägen die aktuelle Situation in der Zweiten Welt. Die Reichen können es sich leisten, zur Universität zu gehen und eine höhere Bildung zu erhalten, während die einfachen Leute ohne die nötigen Mittel nur minderbezahlte Jobs ergattern können. Mit der Zeit wird der Reichtum weiter ungleich verteilt und die Klassen verfestigen sich immer mehr. Die Bildung in der Zweiten Welt dient nicht dazu, Talente zu fördern, sondern die Interessen der Eliteklasse zu zementieren.

"Senpai!" Daniel trat näher an Jonathan heran und fragte: "Gibt es eine Möglichkeit, einen legalen Kredit zu bekommen?"

Dieser Junge ist echt süß, nennt mich schon Senpai.

Jonathan antwortete: "Banken, aber eine Genehmigung ist unsicher. Die Zinsen können hoch sein."

Daniel sagte besorgt: "Ich habe wirklich Angst, dass ich nicht studieren kann."

Die Zweite Welt ist eine kapitalistische Gesellschaft. Warum sollten Kapitalisten, die ohne Profit nicht früh aufstehen, Wohltätigkeit betreiben?

Daniel sah immer noch besorgt aus, als die Bahn eintraf.

Das ist interessant. Jonathan hatte bestätigt, dass Daniel ein Spieler war. Er war weniger als einen Tag in dieser Welt und sollte eigentlich kein Zugehörigkeitsgefühl haben, aber er machte sich wirklich Sorgen um das Geld für die Universität, als wäre es wichtig.

Jonathan hatte einst eine Spielsystemaufgabe ausgelöst, um den Fall einer Hafenexplosion zu untersuchen. Könnte es sein, dass Daniel die Aufgabe "Einschreibung am Black Sea College" ausgelöst hatte?

Wenn das der Fall war, dann ergab sein Verhalten Sinn.

"Steigen wir ein." Jonathan ging voraus, zahlte mit Gesichtserkennung.

Daniel folgte ihm und versuchte ebenfalls zu bezahlen, doch der Automat zeigte "Unzureichendes Guthaben, Gesichtsscan-Zahlung fehlgeschlagen" an.

Daniel "

?" Er versuchte es erneut, erhielt aber dieselbe Meldung.

Jonathan sah ihn mitfühlend an, ging zum Identifikationsgerät und scannte für ihn. "Gesichtserkennung bestätigt, Zahlung erfolgreich."

Er klopfte Daniel, der verblüfft war, auf die Schulter und sagte: "Ich habe für dich bezahlt, danke, dass du mich zur Ermittlungsabteilung begleitet hast."

Daniel war fast den Tränen nahe: "Verdammt, warum bin ich so arm, habe ich überhaupt eine Chance auf ein Studium?"

"Arbeite hart, es wird eine Möglichkeit geben." Jonathan zeigte ein mitfühlendes Lächeln.

Das war nicht nur ein Rendezvous unter Landsleuten, sondern auch unter Armen.

Jonathan kannte Daniels Gefühle sehr gut, denn auch in der Ersten Welt machte er sich Sorgen um seinen Lebensunterhalt und die Studiengebühren; allerdings benötigte er für das Studium nicht so hohe Summen wie zweihunderttausend Dollar pro Jahr.

Der Zug fuhr die ganze Strecke entlang und hielt an der Baker Street an.

"Ähm, ist es nicht vielleicht gefährlich, allein zu gehen? Oder soll ich..." Daniel hielt inne. "Es scheint, du brauchst mich nicht, um dich mit deiner Kampfkraft zu begleiten."

"Geh ruhig nach Hause, mir passiert schon nichts." Jonathan winkte ihm zu.

Daniel sagte: "Auf Wiedersehen, Senpai... Moment, kannst du mir deine Kontaktdaten geben?"

Jonathan zog den Kommunikator heraus, den Martin ihm gegeben hatte, und nach einigem Herumprobieren schaffte es Daniel schließlich, ihn zu seinen Kontakten hinzuzufügen.

Der Regen wollte nicht aufhören. Jonathan machte sich mit seinem Regenschirm auf den Weg und fand nach einigen Abbiegungen schließlich sein Zuhause.Es war ein heruntergekommenes Gebäude mit sich ablösender Farbe und zwielichtigen Anzeigen für Begleitservices. In der Lobby lag ein muffiger Geruch in der Luft, und die rostigen Türen quietschten beim Öffnen.

Er ging zum dritten Stock hinauf und blieb an einer Tür stehen, umfasste den Türknauf fest.

"Fingerabdrucküberprüfung erfolgreich." Die Tür sprang auf.

Als er eintrat, beschlich ihn ein plötzliches Unbehagen. Er blickte auf und erschrak ob der Gestalt, die auf dem Sofa im Wohnzimmer saß.

Eine silberne Maske verbarg das Gesicht, Augen funkelten durch die Sehschlitze direkt auf Jonathan.

"Du kommst zu spät."

Der Tonfall suggerierte Vertrautheit mit Jonathan.

"Auf dem Weg hierher gab es einen kleinen Zwischenfall", erwiderte Jonathan rasch und fand zurück in das Gespräch.

"Hast du den Missionschip bereits überprüft, den der Boss geschickt hat?"

"Noch nicht", gab er knapp zurück, wohl wissend, dass zu viel Reden seine Nervosität verraten könnte.

"Gut. Der Boss ließ ausrichten, diese Aufgabe sei um jeden Preis zu erledigen." Der Mann in der silbernen Maske erhob sich vom Sofa: "Ab heute bin ich dein Partner für Operationen in der Stadt Black Sea. Mein Codename ist 'Fuchs', und du solltest dir auch einen Codenamen ausdenken."

Codename? Jonathans Gedanken überschlugen sich.

Fuchs sagte: "Der Codename sollte nicht mit deinen persönlichen Eigenschaften in Verbindung stehen, je unähnlicher, desto besser. Lass andere nicht durch den Codenamen auf dich schließen..."

"Richguy."

Fuchs schien überrumpelt: "Wie bitte?"

"Richguy." Jonathan wiederholte gelassen, "Codename, Richguy."

Der Codename "Richguy" gefiel ihm gut. Nicht nur, dass "Richguy" weit von ihm entfernt war, es war geradezu ein anderes Universum.

"Fuchs,"...

Er zögerte lange, bevor er fortfuhr: "Bist du sicher, dass du so genannt werden willst?"

"Sicher." Jonathan stand zu seiner Wahl: "Nenne mich Richguy."

Das war ein Codename, der sowohl keinen Bezug zu ihm hatte, als auch seine Zukunftsträume widerspiegelte. Sein Traum war es, reich zu sein!

"In Ordnung, 'Richguy'." Hinter Fuchs' Maske musste sich ein unbeschreiblicher Gesichtsausdruck verbergen: "Schau dir schnell die Aufgabe an, die dir der Boss gegeben hat."

Jonathan zog den Chip aus seiner Tasche und befestigte ihn an seinem Armband, um die Informationen zu lesen.

Die erste Zeile lautete: "Auftrag: Zerstörung des Hafens von Black Sea City."

Jonathan war fassungslos, "???"

Was zum Teufel stimmte nicht mit diesen NPCs? Warum waren sie so darauf versessen, diesen Hafen zu vernichten?!

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