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Überlegungen zur Patrouillenrotation

Es waren drei Tage vergangen, seit sie von der Blutmondversammlung zurückgekehrt war. In dieser Zeit war Ashleigh wieder in ihren Alltag eingetaucht. Sie trainierte mit den Kriegern des kalten Bundes und beriet über die Patrouillenpläne und Grenzberichte ihres Vaters. Und wann immer es ging, verbrachte sie Zeit mit Granger.

Doch ihr Leben war nicht in die gewohnte Normalität zurückgekehrt, wie sie gehofft hatte. Die Distanz zu Caleb hatte das Verlangen nach ihm zwar gedämpft, doch seine Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen, gelang ihr damit nicht. Zwar war es nicht allgegenwärtig oder gar konstant, doch diese grauen Augen fanden irgendwie jeden Tag den Weg in ihre Vorstellungen.

Selbst jetzt, als sie mit ihren Freundinnen saß und die letzten Einladungen zu ihrem achtzehnten Geburtstag ausfüllte, schweiften ihre Gedanken ab. Sie fragte sich, was er wohl tun oder denken mochte.

"Ashleigh, hast du mich gehört?", holte eine Stimme sie aus ihren Gedanken zurück.

"Was? Oh, Entschuldigung", begann sie, "ich habe über die Patrouillenrotation nachgedacht."

Es war nicht wirklich gelogen. Ashleigh hatte sich gefragt, ob Caleb seine Patrouillenwege genauso überwachte wie ihr Vater oder ob er selbst auf Patrouille ging.

"Patrouillenrotation? Im Ernst?" fragte eine andere.

Ashleighs Blick fiel auf ihre Freundin Renee, deren lavendelfarbene Augen sie auffingen. Ihr Haar wurde von drei kleinen roten Zöpfen getrennt, die linke Seite fiel knapp über die Schultern und die rechte war komplett abrasiert.

"Komm schon, Renee, du weißt doch, dass Ashleigh ihre Pflichten als Kriegerin sehr ernst nimmt", antwortete diejenige, die zuerst gesprochen hatte. Eine langhaarige Brünette mit haselnussbraunen Augen, die freundlich-sarkastisch funkelten.

"Und warum hört sich das immer noch wie eine Beleidigung an, wenn du das sagst, Bell?" fragte Ashleigh und konnte ihr Lächeln nicht verbergen.

Sie lachten alle miteinander und obwohl Renee und Bell auf Ashleighs Kosten weiter Scherze machten, sah sie sie lächelnd an.

Diese beiden waren ihre engsten Freundinnen.

Renee war ein paar Jahre älter, aber sie waren zusammen aufgewachsen, als Kinder derselben Wandlungsgruppe. Beide hatten damit zu kämpfen gehabt, ihre starken Persönlichkeiten beim Befolgen von Befehlen zu zähmen. Ashleigh war das jedoch ein wenig besser gelungen als Renee.

Bell oder Annabelle, war erst später in ihren Freundeskreis gekommen. Ihre Mutter gehörte zu den Herbst-Wölfen; ihre Eltern hatten sich bei der Blutmondversammlung kennengelernt und gleich ihre Verbundenheit erkannt. Ihr Vater hatte um Erlaubnis gebeten, den Herbst-Wölfen beizutreten, und dort lebten sie, bis Bell fünfzehn war.

Unglücklicherweise waren beide ihre Eltern bei einem Angriff von Schurkenwölfen ums Leben gekommen.

Ein Jahr nach ihrem Tod entschied sich Bell, zu den Eltern ihres Vaters zu ziehen und ein offizielles Mitglied des Winterrudels zu werden. Obwohl sie mit den strengen Regeln und Einschränkungen ihres neuen Rudels zu kämpfen hatte, sagte sie, dass sie nirgends anders sein wollte.

Von allen Menschen in ihrem Leben fühlte sich Ashleigh bei diesen beiden am wohlsten, und dennoch saß sie hier und log sie an.

"Was ist los, Ash?", fragte Renee, streckte eine Hand aus und berührte Ashleighs Knie.

Ashleigh schüttelte den Kopf und lächelte.

"Nichts, ich bin einfach überfordert mit all den Sachen, die ich im Kopf habe, das ist alles."

"Lügnerin", sagte Bell und biss in einen Apfel.

"Wir wissen, dass etwas vor sich geht, und dass es irgendwie mit Granger zu tun hat", stellte Renee Ashleigh zur Rede.

"Was meinst du?", erwiderte sie und wandte den Blick ab.

"Jetzt tu nicht so ahnungslos. Sag uns, was hier los ist", drängte Renee.

"Wir wissen bereits, dass du die Hochzeit verschoben hast, Ash. Erzähl uns einfach, was passiert ist", sagte Bell. Sie hielt Ashleighs Blick fest, um zu zeigen, wie aufrichtig besorgt sie war.

Ashleigh holte tief Luft.

"Also, es ist einfach so viel los, ich meine, mit der Geburtstagsfeier und-", begann Ashleigh.

"Eeehhhh! Falsche Antwort!", rief Bell und machte ein Summ-Geräusch, als ob Ashleigh eine Spielshow-Kandidatin wäre. "Die Ausrede 'Ich bin zu beschäftigt für die Hochzeitsplanung' zieht bei uns nicht; wir kennen den Ordner."

Renee nickte zustimmend.

"Ich habe den Ordner vergessen." Ashleigh seufzte laut, während sie sich in ihrem Stuhl versinken ließ. Sie dachte an den Ordner, den sie unter ihrem Bett versteckt hatte, in den sie zwei Jahre lang ihre Ideen und Träume für ihre perfekte Hochzeit mit Granger gesteckt hatte.

Renee und Bell rückten näher und setzten sich links und rechts neben ihrer Freundin, wobei jede Ashleighs Hand nahm.

"Geheimnisse zu bewahren ist schwierig, wenn wir sonst alles miteinander teilen", sagte Renee und lächelte.

"Und wir sind nun mal sehr neugierig und sehr beharrlich", fügte Bell hinzu.Sie lachten alle, sogar Ashleigh.

"Sag uns einfach, was los ist. Ich verspreche, dass es dir danach besser geht", bot Renee an und drückte Ashleighs Hand.

"Du hast wahrscheinlich recht", seufzte Ashleigh, "aber ich glaube nicht, dass ich das schon kann. Noch nicht."

"Sag nur eins", setzte Bell an, "muss ich Granger wehtun?"

"Nein", lachte Ashleigh. "Granger ist großartig. Er war sehr geduldig und verständnisvoll. Ich habe einfach einige Dinge im Kopf, die ich verarbeiten muss, das ist alles."

"Wir sind für dich da, wann immer du bereit bist", erinnerte Renee.

"Ich weiß, danke." Ashleigh lächelte und stand auf. "Aber ich muss tatsächlich noch andere Dinge erledigen, kann ich also den Rest euch überlassen?"

"Na klar." Renee lächelte.

"Ja, aber sei bitte kein Faulpelz und bring diese Einladungen zur Post", neckte Bell Ashleigh.

"In Ordnung, in Ordnung." Ashleigh lachte, während sie den Stapel fertiger Einladungen aufhob.

"Oh, und vergiss diese hier nicht." Renee griff nach dem letzten Umschlag, an dem Ashleigh gearbeitet hatte.

Renees Stirn runzelte sich, als sie den darauf geschriebenen Namen sah. Ihr fragender Blick richtete sich auf Ashleigh.

"Alpha Caleb? Von Summer?", fragte sie.

Ashleigh spürte, wie ihr Herz in die Kehle sprang. Er stand nicht auf der Gästeliste, aber sie hatte an ihn gedacht.

'Habe ich ihm unbewusst eine Einladung geschickt?', fragte sie sich.

"Komisch. Ich erinnere mich nicht, dass er auf der Gästeliste stand... ich weiß nicht, warum er eingeladen sein sollte, da er uns hasst", sagte Bell und sah Ashleigh neugierig an.

"Ja... es war, äh, eine Idee. Wie eine Friedensgeste. Nicht nur er, alle Alphas sind eingeladen. Die Tochter des Alphas, du weißt schon, Diplomatie und so."

"Aha...", erwiderte Bell, sie schaute Ashleigh immer noch misstrauisch an.

"Wie auch immer, ich nehme das." Ashleigh schnappte sich die Einladung von Renee und ging zur Tür. "Danke nochmal, Leute. Wir sehen uns morgen, okay?"

Ashleigh eilte hinaus, ohne auf eine Antwort zu warten.

***

Letztendlich gab Ashleigh die Einladungen zur Zustellung ab, hielt aber die für Caleb zurück. Sie hatte nie vor, ihn einzuladen, also wozu das Ganze? Doch während sie im Bett lag und sich hin und her wälzte, konnte sie nicht anders, als zu grübeln.

"Vielleicht sollte ich es tun. Aus diplomatischen Gründen", flüsterte Ashleigh in der Dunkelheit.

Dann zog sie die Stirn kraus und schüttelte den Kopf bei diesem Gedanken.

"Nein", sagte sie sich fest und drehte sich um, um zu schlafen.

Aber ihr Geist war unruhig. Wie sollte sie schlafen, wenn ihr so viele Gedanken und Fragen und diese grauen Augen durch den Kopf gingen? Schließlich stand sie auf, öffnete das Fenster ihres Schlafzimmers, kletterte auf die Fensterbank und sprang in den Schnee hinunter.

Ashleigh rannte, bis sie den Rand der dichten Bäume erreichte, die den Beginn des Waldes markierten. Sie warf einen Blick über die Schulter, bevor sie mit dem knackenden und knirschenden Geräusch ihrer sich brechenden und neu ausrichtenden Knochen in den Wald tauchte.

Das Gefühl der Verwandlung behielt immer dieses weißglühende Feuer, das an ihrem Fleisch zerrte, aber an den Schmerz hatte sie sich nach fast zehn Jahren gewöhnt. Andererseits, die Freiheit, die sich einstellte, wenn man auf allen vieren durch die Bäume rannte, fühlte sich jedes Mal frisch und neu an.

Sie durchquerte den Wald und sprang von Felsen und umgestürzten Bäumen in den Schnee. Der Wind rauschte durch ihr weiches, weißes Fell und verlieh ihr das Gefühl zu fliegen. Das war es, was sie liebte. Keine Beschränkungen, nur Freiheit in der Wildnis.

Manchmal fühlte sie sich, als könnte sie für immer laufen.

Der Himmel färbte sich rot und violett, als sie schließlich wieder durch ihr Fenster ins Haus kroch. Während sie sich einen neuen Schlafanzug anzog, warf sie einen Blick auf die Einladung, die auf ihrem Schreibtisch lag. Schnell schnappte sie sich diese und eilte den Flur hinunter ins Büro.

Ashleigh atmete tief durch, bevor sie den Umschlag in den Ausgangskorb warf.

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