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Sag mir deinen Grund

[Zwanzig Minuten zuvor]

Die prickelnde Hitze auf seiner Haut war gelinde gesagt ablenkend. Caleb gelang es kaum, sich zu konzentrieren, während die anderen sprachen. Hätte er eine andere Rolle einnehmen müssen, wäre dies ein Problem gewesen. Glücklicherweise war es nicht sein erstes Mal. Vor dem Tod seines Vaters hatte dieser ihn darauf vorbereitet, seinen Part bei den Opferritualen zu spielen.

Das eigentliche Problem war der Sirenengesang ihres Herzschlags, der Duft in der Luft, der seinen Mund austrocknen ließ. Und das heiße Kribbeln auf seiner Haut zwang ihn, die Zähne zusammenzubeißen, um die Fassung zu bewahren.

‚Warum ist sie gegangen?', fragte er sich.

Sie musste im Tanzsaal sein, daran hatte er keinen Zweifel. Plötzlich hatte ihn ein Blitz aus Verlangen, Besitzanspruch und Bedürfnis erfasst. In diesem Moment war ihm klar, dass sie ihn entdeckt hatte. Doch zu seinem Pech hatte er sie nicht gesehen.

‚Warum ist sie gegangen?' Die Frage hallte in seinem Kopf wider, diesmal intensiver.

Das Aufblitzen des Feuerwerks holte seine Aufmerksamkeit zurück in die Gegenwart. Er stand neben den anderen Alphas, jedem Rudel ein Jahr voller Segen und Glück wünschend. Er wiederholte die Worte, die er schon so oft ausgesprochen hatte, und winkte.

Caleb erblickte seinen Beta und besten Freund, Galen. Der Mann schien mindestens genauso entschlossen, ihre Luna zu finden, vielleicht sogar noch mehr. Ein leises Kichern konnte er sich nicht verkneifen. Galen durchforstete das Publikum, in der Hoffnung, eine Frau zu erblicken, die er noch nie zuvor gesehen hatte.

Doch Caleb wusste bereits, dass seine Luna nicht unter diesen Fremden war. Sie war fortgelaufen. Er spürte die Entfernung zwischen ihnen, und das missfiel ihm.

Das Ritual war vorüber, es war Zeit zur Jagd, doch zuerst musste er einen Weg finden, sich den plaudernden Leuten zu entziehen.

„Alpha Caleb, es freut mich sehr, dass ich die Gelegenheit habe, mit Ihnen zu sprechen", trat ihm ein klein gewachsener Mann mit lockigem braunem Haar und einem breiten Grinsen entgegen.

„Oh?", erwiderte Caleb zurückhaltend.

Allerdings war es eine Anstrengung, unbeeindruckt zu bleiben, eine Anstrengung, von der er sich nicht überzeugen konnte, dass sie es wert sei.

„Ja, ich wollte meine Anerkennung für Ihr Benehmen heute Abend aussprechen", fuhr der kleine Mann fort, immer noch lächelnd.

„Inwiefern habe ich mich ‚benehmen' müssen, dass dies Ihr Lob verdient?", fragte Caleb gelangweilt.

„Es tut mir leid, sollte ich Sie beleidigt haben. Ich wollte nur Ihre Gelassenheit und Großzügigkeit hervorheben."

„Um beleidigt zu sein, müsste ich erst einmal etwas auf Sie geben." Calebs Stimme blieb gelassen. Nicht einmal seine Ungeduld war hörbar. „Kommen Sie bitte zur Sache oder treten Sie beiseite."

Die Mundwinkel des Mannes zuckten, ehe sie sich zu einem breiten Lächeln wölbten. Doch Caleb sah es. Dieser Mann hasste ihn.

„Das Winter-Rudel, sir, ich wollte Sie nur für die freundliche Art loben, wie Sie sich ihnen gegenüber verhalten haben. Es scheint, als hätten Sie Ihre Missverständnisse ausgeräumt."

Freundliche Worte wurden oft mit gespaltener Zunge gesprochen.

Calebs Ungeduld traf auf seine lang angestaute Abneigung, und ein Knurren baute sich tief in seinem Bauch auf. Der lächelnde Idiot vor ihm erkannte plötzlich die drohende Gefahr.„Alpha Caleb!", rief Galen, und zog Calebs Aufmerksamkeit auf sich. „Es wird Zeit, dass wir weiterziehen."

Caleb nickte und ging auf Galen zu. Er hielt inne und blickte noch einmal auf den kleinen Mann zurück.

„Dieses Gespräch werden wir bald beenden."

Der kleine Mann konnte die Angst nicht schnell genug aus seinem Gesicht verbannen.

„Sein Name ist—", flüsterte Galen, während sie weitergingen.

„Nein", unterbrach Caleb ihn. „Wenn ich seinen Namen wissen muss, werde ich es herausfinden. Im Moment gibt es nur eine Identität, die mich interessiert."

Er wies Galen an, seinen Platz bei der nächsten Veranstaltung einzunehmen. Es handelte sich lediglich um eine Nachstellung der Segnung der Wölfe durch die Göttin; seine Anwesenheit war eigentlich nicht erforderlich. Vor allem wollte er nicht abgelenkt sein. Es war an der Zeit, seine Beute zu jagen.

Er folgte seinen Instinkten, die ihn mit einem urtümlichen Bedürfnis erfüllten. Er fühlte sich ihr immer näher und atmete tief ein, als ihr Duft den Wolf in ihm weckte.

„Verdammt noch mal!"

Ihre Stimme durchzuckte seinen Körper, ließ ihn laut aufstöhnen. Er stützte sich an der Wand ab, um Halt zu finden. Dann trat er vor und spähte um die Ecke.

Ihr sandfarbenes Haar war zurückgebunden, einzelne Strähnen hatten sich bereits aus dem lockeren Zopf befreit. Caleb überlegte, ob sie weich oder rau waren. Er verlangte danach, sie zu berühren und es selbst herauszufinden.

Calebs Blick schweifte über den Rest ihres Körpers. Sie war nicht groß, aber er schätzte, dass sie ihm auf Zehenspitzen in die Augen sehen konnte. Sie trug ein dünnes, grünes Kleid wie das Laub der Bäume. Das Kleid war lang und fließend, doch man konnte erkennen, dass sie selbst in dieser Tracht eine Kriegerin war.

Ihre Kurven lenkten seinen Blick an die richtigen Stellen, doch ihre solide Stärke zeugte davon, dass sie ihre Ausbildung ernst nahm. Vor allem für den Kampf, der immer bevorstand. Caleb fühlte sich noch mehr zu ihr hingezogen, als er daran dachte, sie im Training zu sehen.

„Ich muss also nur jedes Event absagen, das ich meinem Vater versprochen habe. Dann gewinne ich ein zwölfstündiges Versteckspiel mit einem Alpha."

'Sie ist witzig', dachte er schmunzelnd.

„Oh, und er hat einen eingebauten Peilsender an mir. Großartig."

‚Ha', lachte er in sich hinein, als er ihre Frustration beobachtete. 'Du versteckst dich also wirklich vor mir.'

„Ashleigh?", rief eine andere Stimme.

Caleb zog sich zurück in den Flur.

‚Ashleigh... also so heißt du', dachte er lächelnd bei sich. 'Gut, Ashleigh, wir können dein Spiel spielen. Ich gebe dir sogar einen Vorsprung.'

[Gegenwart]

„Es scheint, dass Verstecken nicht deine Stärke ist." Caleb grinste und ließ ein leises Lachen hören.Er hatte sie eingeholt und sie hatte das Spiel verloren. Das Vibrieren seines Lachens war Brennstoff für das Feuer, das in ihr wuchs und sie zu verzehren drohte. Er bewegte sich langsam und bedrohlich auf sie zu. Ashleighs Körper reagierte auf seine Nähe; ein scharfer Atemzug zwang sich ihr auf.

Sie konnte sich nicht bewegen - genauer gesagt, ihr Körper wehrte sich dagegen, sich in eine andere Richtung als direkt zu ihm zu bewegen.

"Faszinierend", sagte er, während er um sie herumging. "Du spürst es deutlich. Du weißt, dass ich dein Gefährte bin. Aber es scheint, als würdest du dich wehren. Heftig."

Ashleigh schluckte, ihr vertraute ihrer Stimme nicht. Ihr Körper war nicht länger ihr eigener. Jeder Zentimeter von ihr verlangte nach ihm, sehnte sich nach ihm - bis auf ihren Verstand.

"Warum?" flüsterte er leise an ihrem Hals.

Ein Geräusch, das sie selbst noch nie zuvor gemacht hatte, entwich ihren Lippen - ein sanftes Wimmern.

Caleb lächelte herab. Er war so nahe, dass sie die Wärme seines Körpers spüren konnte. Doch er berührte sie nicht.

"Sag es mir", knurrte er schmerzvoll.

Ashleigh hob den Blick und ihre Augen trafen die seinen zum ersten Mal.

Sie hatte dieselbe Kälte erwartet, die sie vorher gesehen hatte. Schließlich war Alpha Caleb bekannt dafür. Alles, was sie über ihn wusste, bezog sich auf die Eisbarriere, die er gegen den Rest der Welt einsetzte. Hatte sie das nicht gesehen?

Doch in seinen grauen Augen lag nur Wärme, die Art von Wärme, die von Zuhause ausging, die Gewissheit, dass man irgendwo hingehörte.

"Ashleigh", flüsterte er.

Seine Stimme rollte wie eine Welle über sie hinweg und warf sie gegen ihren eigenen Willen zurück.

Ashleigh wandte ihren Blick von seinen Augen ab und fand sich mit dem Rücken gegen die Wand gedrückt. Er schwebte nur wenige Zentimeter über ihr, ihre Münder waren fast schon berührend, ihre Hand ruhte auf seiner Wange.

Sie konnte sich nicht erinnern, ihn berührt zu haben.

"Sag mir deinen Grund", sprach er, während er nach Luft rang. "Warum bist du vor mir davongelaufen?"

"Ich..."

Sie konnte sich nicht konzentrieren. Calebs Mund war so nah, dass es schmerzhaft wäre, wenn sie nur auf ihre Zehenspitzen steigen würde.

"Ashleigh, bitte", bat Caleb, "du musst einen Grund haben. Ich versuche mich zurückzuhalten. Sag es mir."

Seine Lippen, ihr Geist war erfüllt von dem Wunsch, diese Lippen zu berühren. Sie spürte, wie sie auf ihn zukam, und dann spürte sie, wie eine Träne ihre Wange herunterrollte.

Die Anziehungskraft ihrer Verbindung ließ für einen Moment nach, sodass Ashleigh etwas anderes wahrnehmen konnte, jemand anderen.

"Ich...", sie kämpfte darum, das Wort hervorzubringen. Dann ergriffen ihre Augen Mut, sie sammelte alle ihre Kraft und ihren Willen und stieß Caleb von sich.

Caleb taumelte, fing sich aber bevor er zu Boden ging. Er sah zurück zu Ashleigh, Tränen strömten über ihr Gesicht. Er sah den Schmerz in ihren Augen und es brachte ihn zum Innehalten.

Ashleigh atmete tief durch und kämpfte mit aller Kraft, die Instinkte ihrer Verbindung zu ihm abzuschütteln und ihren eigenen Verstand wiederzugewinnen.

"Ich habe meinen Gefährten schon gefunden!" sagte sie schließlich.

"Was?", entgegnete er, unfähig, den aufkeimenden Zorn zu verbergen.

Ashleigh richtete sich auf, aufrechter als sie es vor diesem Moment gekonnt hatte. Sie atmete noch einmal tief durch und dachte an Granger.

"Ich habe bereits einen Gefährten", erklärte sie.

Caleb knurrte und ging mit einer Geschwindigkeit auf sie zu, die sie nicht für möglich gehalten hätte. Er drückte sie erneut gegen die Wand und schmiegte sich an ihren Hals, atmete sie ein.

"Ich bin dein Gefährte!" knurrte er in ihre Kehle.

Ashleigh spürte den brennenden Schmerz tief in sich, das Bedürfnis und Verlangen nach ihm. Wieder schloss sie die Augen und zog an jedem Faden ihres Willens, um ihn fortzustoßen. Aber dieses Mal stand er fest. Caleb berührte sie nicht, vergrub nur seine Nase in ihrem Hals und sog ihren Geruch ein.

"Das kannst du nicht sein", flüsterte sie.

"Warum?" fragte er, ohne sich zu bewegen.

Sie schluckte, während der Nebel ihrer Verbindung erneut begann, ihren Verstand zu trüben. Sie spürte, wie ihre Hände sich bewegen wollten, um ihn ganz von selbst zu umarmen.

"Mein Vater ist Alpha Wyatt vom Winter-Rudel!", rief sie aus.

Er erstarrte.

'Alpha Wyatt... vom Winter...' Caleb wiederholte die Worte in seinem Kopf.

Ein vertrautes Gefühl stieg in ihm hoch. Seine Hände fielen an seine Seiten, als er einen Schritt von Ashleigh zurücktrat.

"Gehe", flüsterte er.

Ashleigh starrte ihn an, Tränen flossen. Sie konnte sich nicht bewegen.

"Gehe!", knurrte er. Seine Stimme war tiefer, dicker, wilder, als sie sein sollte.

Ashleigh schlängelte sich an ihm vorbei und lief davon. Das Letzte, was sie hörte, war das Echo seiner Knochen, die brachen, als er sich in seinen Wolf verwandelte.

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