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002 Kaltherzige Mutter

Lu Qingyis Blick verweilte auf der geschlossenen Tür, bis sie zügig hinüberging und das Schloss verriegelte.

Sie holte den weißen Laptop aus ihrem Koffer, der auf der Bettkante stand, und ihre schlanken Finger tanzten flink über die Tasten.

"Warum schließen Sie die Tür am helllichten Tag ab?"

Jemand klopfte an die Tür, eine kühle weibliche Stimme durchdrang die Barriere, ohne jede Emotion.

Lu Qingyis schöne Augen verengten sich und blickten desinteressiert auf die Tür, bevor sie weiter tippte. Das Geräusch an der Tür war für sie so gut wie unsichtbar.

"Lu Qingyi, komm und öffne diese Tür."

Das leise Klopfen wurde zu lautem Hämmern. Yao Meishus raue Stimme strotzte vor kaum verhohlener Wut.

Lu Qingyis Irritation zeigte sich in ihren zusammengezogenen Augenbrauen. Sie steckte sich Kopfhörer in die Ohren und drehte die Musik des Laptops auf eine ohrenbetäubende Lautstärke auf.

Offensichtlich hatte sie nicht die Absicht, die Tür zu öffnen.

In diesem Haushalt mochten außer ihrem Bruder Lu Jiayi alle anderen sie nicht. Sie wusste, dass ihr Stiefvater, Lu Yao und Yao Meishu sie ganz offen verachteten, und ihre jüngere Schwester Lu Jiayue verhielt sich einfach unauffällig.

"Lu Qingyi, was ist dein Problem?"

Yao Meishu stürmte herein, den Arm voller Kleider und einen Schlüssel in der Hand.

Sie starrte das Mädchen an, das im Schneidersitz auf dem Bett saß und ungestört tippte, und ihre Wut stieg in die Höhe.

"Was willst du?" Lu Qingyi nahm die Kopfhörer gemächlich ab und sah Yao Meishu mit ruhigen Augen an.

"Das sind die neuen Kleider deiner Schwester, ungetragen. Zieh sie morgen in der Schule an, und blamier mich nicht."

Yao Meishu warf die Kleider unsanft auf Lu Qingyis Bett und ließ ihren Blick von Kopf bis Fuß über das Mädchen schweifen.

Kurze Haare, die ihr bis zu den Schultern fielen, ein hageres weißes T-Shirt, Jeans, Leinenschuhe, kalte Gesichtszüge und ein schwarzer Ohrring. Nichts an ihr deutete auf die weiche und sanfte Weiblichkeit hin, die man typischerweise bei jungen Mädchen findet, stattdessen erinnerte sie an eine jungenhafte Wildheit.

Die Familie Lu war in Jin City einflussreich, gleich nach der Familie Ye.

Was für ein Witz wäre es, wenn sich herumsprechen würde, dass Lu Qingyi, ihre Tochter aus der wohlhabenden Lu-Familie, Kleidung ohne Etikett trug

"Ein Kleid?" Lu Qingyi hob eine Augenbraue beim Anblick eines pastellrosa Kleides mit süßem Schnitt, das Yao Meishu mitgebracht hatte.

Süßer Stil?

Lu Qingyi lachte und erkannte, dass sie Yao Meishu in Verlegenheit bringen würde, wenn sie das Kleid anziehen würde.

Wäre es nicht peinlich, etwas zu tragen, das ihr nicht stand?

"Was? Du hast noch nie eins getragen? Das Kleid ist nicht billig, ich wette, deine Großmutter würde es dir nie kaufen."

Yao Meishu verschränkte die Arme und blickte mit Verachtung in den Augen auf Lu Qingyi herab.

Sie zeigte keine Anzeichen von Zuneigung, die eine Mutter ihrer Tochter normalerweise entgegenbringen würde.

Ursprünglich wollte sie Lu Qingyi in ein Waisenhaus schicken, aber ihre Mutter bestand darauf, sie aufzuziehen, und so willigte sie widerwillig ein.

Jeden Monat schickte sie nur so viel Geld, dass es für Yao Huijuan reichte, Lu Qingyis Anteil ließ sie absichtlich aus.

"Manchmal bezweifle ich wirklich, dass ich dein leibliches Kind bin."

Lu Qingyi sah Yao Meishu direkt an, ihre Augen waren ruhig und gelassen.

Sie fragte sich, welche Eltern so kaltherzig sein konnten, ihr eigenes Kind wie einen Fremden zu behandeln.

Sie ignorierten sie jahrelang, zeigten ständig ein kaltes Gesicht und machten ironische Bemerkungen, wann immer sie sich trafen.

"Wenn du nicht mein Fleisch und Blut wärst, würdest du nicht einmal dieses Haus betreten dürfen."

Yao Meishu zeigte keine Schuldgefühle, stattdessen blitzte Verachtung in ihren Augen auf, während sie ihr frisch frisiertes Haar zurückstrich.

"Also gut, du brauchst deine Sachen noch nicht auszupacken; da du in der Schule wohnst, musst du noch einmal packen."

Yao Meishu warf einen Blick in Lu Qingyis offenen Koffer, ihre Stimme war immer noch sanft.

Der Koffer war praktisch leer, abgesehen von ein paar Kleidungstücken und Toilettenartikeln. Keine Make-up-Produkte füllten die leeren Stellen.

Lu Qingyi senkte schweigend die Brauen.

"Lu Qingyi, niemand hat sich über deine Geburt gefreut."

Yao Meishu ging hinaus, doch bevor sie die Tür hinter sich schloss, warf sie noch eine letzte Bemerkung über die Schulter.

Niemand hat sich über ihre Geburt gefreut?

Lu Qingyi blinzelte, ihr Blick wurde etwas bitter.

Seitdem sie fünf Jahre alt war, wusste sie, dass ihre Eltern und ihre Schwester sie nicht mochten, nur ihr Bruder schmuggelte ihr heimlich ein paar Snacks zu.

Vierzehn Jahre waren vergangen, und sie dachte, sie sei gegen ihre Geringschätzung und ihre grausamen Worte immun geworden. Doch tief in ihrem Inneren spürte sie ein leichtes Unbehagen.

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Lu Qingyi betrachtete die verstreuten Kleider auf ihrem Bett, schnaubte herzlos und warf sie alle in den Papierkorb.

Sie hatte es nie erzwungen, Kleidung zu tragen, die ihr nicht stand.

Wenn etwas außerhalb ihrer Reichweite war, strebte sie es auch nicht an.

Nachdem sie sich die Schläfen massiert hatte, wählte Lu Qingyi eine Nummer auf ihrem Telefon.

"Was kann ich für dich tun, meine liebe Qingyi?", kam eine freundliche Stimme eines älteren Menschen aus dem Lautsprecher.

"Herr Direktor, ich werde nicht zurückkommen."

"Was? Nein, Qingyi, du kannst nicht einfach wegbleiben. Ich habe mich auf eine Schachpartie mit dir gefreut."

Die Stimme am Telefon war überrascht und bemühte sich um Besänftigung.

"Ich werde die Oberschule besuchen und das wird wahrscheinlich ein halbes Jahr dauern."

Lu Qingyis Blick glitt zu dem Zulassungsbescheid auf ihrem Frisiertisch und auf ihren Lippen bildete sich ein kleines Lächeln.

Sie hatte nie eine reguläre Oberschule besucht. Ihre Schwester galt als Überfliegerin, und sie wollte sehen, wie beeindruckend Lu Jiayue wirklich war und sich gleichzeitig einen kleinen Urlaub gönnen.

"Kleine Prinzessin, du machst Witze, oder? Ausgerechnet du auf die Oberschule? Was sollen die anderen Kinder machen? Planst du, den ersten Platz bei den Hochschulaufnahmeprüfungen zu ergattern? Um Himmels willen, du solltest den anderen auch eine Chance lassen. Es wäre absurd, wenn du dich einmischst."

Lun Boyan war perplex und redete ohne Atem zu holen weiter. Er kannte Lu Qingyi gut genug, um zu wissen, dass sie selten scherzte. Wenn sie etwas sagte, meinte sie es ernst und war dazu auch fähig.

"Betrachte es einfach als eine kurze Auszeit", sagte Lu Qingyi leise nach einigen Sekunden des Schweigens.

"Was? Du willst mich so einfach im Stich lassen?", äußerte Lun Boyan sofort, stand auf und verließ sein Sofa.

"Ich bitte nicht um deine Erlaubnis, ich informiere dich nur. Lassen wir es dabei, ich lege jetzt auf."

Lu Qingyi beendete das Gespräch schnell, bevor Lun Boyan etwas erwidern konnte.

Am anderen Ende legte Lun Boyan aufgebracht den Hörer auf, ließ sich in seinen Stuhl zurückfallen und zog eine Grimasse. Er nahm sich einen Moment Zeit, um sein ergrautes Haar zu massieren, während die Frustration in ihm aufstieg.

Er seufzte und konnte Lu Qingyi nicht verstehen. Dass sie nicht auf ihn – den angesehenen Direktor von Hardrick – hören wollte.

Lun Boyan war der Direktor von Hardrick, einer renommierten Bildungseinrichtung und ein Traumziel für viele. Mit erstklassigen Lehrmitteln sorgte Hardrick dafür, dass die meisten seiner Absolventen eine erfolgreiche Zukunft vor sich hatten.

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