Kapitel 1 Kiyomis Kindheit
Damals war sie noch das Mädchen mit einem anderen Namen, ein Name, der sie an die dunklen Zeiten band. Zur Vereinfachung wird hier ihr aktueller Name genutzt.
Als Kind durchlebte Kiyomi immer wieder schlimme Zeiten. Ihr Vater, gewalttätig und oft betrunken, kam wütend nach Hause. Es war nie klar, auf wen seine Wut diesmal fallen würde.
Das kleine Mädchen lebte in ständiger Angst, dass ihr Vater sie wieder schlagen würde. Darüber zu reden war verboten, weder ihre Mutter noch ihr Vater erlaubten es ihr. Aus Angst, dass ihr Vater sie finden könnte, wünschte sie sich oft, unsichtbar zu sein. Über Magie wusste sie nichts und dachte nie daran, dass sie eines Tages Magierin sein würde.
Aus der tiefen Furcht vor ihrem Vater entstand ein Hass gegen Männer. Wenn ihr Vater, als Mann, so war, mussten es alle Männer sein. Das war für sie die einzige logische Konsequenz. Sie hatte nie einen Mann gesehen, der sich anders verhielt.
Durch die ständige Angst und den Wunsch, unsichtbar zu bleiben, bildete sich ihre Schattenaffinität. Ohne es zu merken, begann sie ihre Schattenfähigkeiten immer häufiger zu nutzen. Sie versteckte sich in den Schatten von Möbeln und in der Dunkelheit. Es wirkte, als würde sie in der Nacht verschwinden.
Sie verstand nicht, warum ihr Vater sie nicht mehr so oft fand, obwohl er nach ihr suchte. Erst nach einiger Zeit bemerkte eine Lehrerin, dass Kiyomi wohl eine Schattenaffinität entwickelt hatte. Nach einer Stunde sprach die Lehrerin sie darauf an.
Lehrerin: "Wieso hast du dich in der Klasse versteckt? Du warst die ganze Zeit nicht sichtbar."
Kiyomi: "Nicht sichtbar?"
Lehrerin: "Du solltest das bei einem Magiearzt prüfen lassen. Er kann dir sagen, ob das wirklich eine Schattenaffinität ist. Deine Eltern können dir das besser erklären."
Kiyomi erwiderte, dass es unmöglich sei, dorthin zu gehen, und dass sie ihrer Lehrerin nicht sagen könne, warum.
"Nein, ich kann das nicht. Meine Eltern erlauben das nicht, und Papa wird wütend, wenn ich es ihm erzähle."
Die Lehrerin verstand nicht genau, wieso es ihr nicht möglich war, antwortete ihr jedoch sanft:
"Na gut, wenn es dir nicht möglich ist, dann werde ich nicht weiter fragen. Aber du solltest es wirklich überprüfen lassen. Der Arzt kann dir sicher helfen."
Das Mädchen verstand nicht, was die Lehrerin meinte.
"Was denn für Affen? Was für ein Arzt? Ist das ein Affenarzt? Wieso soll ich ein Affe sein?"
Die Lehrerin bestand darauf, dass Kiyomi zum Arzt gehen sollte, um zu prüfen, was mit ihr los sei. Doch Kiyomi hatte nie von Magieaffinität gehört und verstand nicht, warum ihre Lehrerin so beharrte.
Lehrerin: "Hör mal, wenn du Fragen dazu hast, kann dir der Arzt alles erklären. Ich bin nur deine Lehrerin, ich kann da nichts tun."
Kiyomi: "Wieso ein Arzt? Ich bin nicht krank."
Lehrerin: "Man geht nicht nur zum Arzt, wenn man krank ist. Der Arzt kann dir auch helfen, nicht krank zu werden."
Kiyomi: "Kann er meinen Papa und Mama auch gesund machen?"
Lehrerin: "Das kann er vielleicht, aber es geht gerade um dich."
Kiyomi: "Ja, aber Papa sagt immer, wir haben eine 'Plage' im Haus."
Lehrerin: "Du siehst nicht krank aus. Was ist das für eine Plage?"
Kiyomi: "Ich weiß nicht. Papa läuft immer schief und gegen die Wand."
Lehrerin: "Was meinst du mit 'schief'?"
Kiyomi stand auf und zeigte ihrer Lehrerin, wie ihr Vater immer lief. Sie nahm eine Vase, wackelte und stieß gegen die Wand.
Kiyomi: "Hey, geh mir aus dem Weg, du Plage!"
Dann kehrte sie zurück und stellte die Vase wieder auf den Tisch. Die Lehrerin schaute sie traurig an.
Kiyomi: "So macht er das immer!"
Lehrerin: "Ich glaube, das ist keine Krankheit, zumindest nicht die, an die ich gedacht habe."
Kiyomi: "Papa sagt immer, ich mache ihn krank. Bin ich krank?"
Lehrerin: "Was sagt dein Papa sonst noch?"
Kiyomi: "Er fragt oft: Willst du Schläge? Ich habe Angst, wenn er das sagt."
Lehrerin: "So etwas fragt er dich?"
Kiyomi: "Ja, aber Mama fragt er das nie."
Lehrerin: "Was macht deine Mama, wenn dein Papa zu ihr kommt?"
Kiyomi: "Mama weint, wenn Papa nach Hause kommt. Sie sagt, es sind die Zwiebeln und lächelt mich an."
Lehrerin: "Das klingt merkwürdig."
Kiyomi: "Warum? Sind meine Eltern krank? Bin ich auch krank?"
Lehrerin: "Ich verstehe, wieso du deine Eltern nicht fragen kannst."
Kiyomi: "Sind das die Zwiebeln? Mag Mama keine Zwiebeln?"
Lehrerin: "Hast du gesehen, dass dein Vater Zwiebeln nach Hause bringt?"
Kiyomi: "Nein, Mama kauft ein."
Lehrerin: "Fandest du nie komisch, wie sich deine Eltern verhalten?"
Kiyomi: "Nein, sie sagen, alles ist gut und ich soll mir keine Sorgen machen."
Lehrerin: "Du denkst, das ist normal?"
Kiyomi: "Mama, Papa und ich, alles ist gut."
Lehrerin: "Wie fühlst du dich dabei?"
Kiyomi: "Gut, ich will nur weinen."
Lehrerin: "Du fühlst dich gut, aber willst weinen?"
Kiyomi: "Ja, Papa sagt, ich soll aufhören zu weinen."
Lehrerin: "Und was daran ist gut?"
Kiyomi: "Alles ist gut."
Lehrerin: "Weißt du, was 'gut' heißt?"
Kiyomi: "Wenn Papa und Mama es sagen."
Lehrerin: "Nein, das ist nicht wahr."
Kiyomi: "Papa und Mama lügen nicht, haben sie gesagt."
Lehrerin: "Auch das ist eine Lüge. Du musst nicht alles glauben, was sie dir sagen."
Kiyomi: "Dann muss ich dir auch nicht glauben. Du lügst doch auch!"
Lehrerin: "Wenn du dich schlecht fühlst, komm zu mir. Wir können nach dem Unterricht reden."
Kiyomi: "Nein, wenn Papa das merkt, haut er mich wieder!"
Lehrerin: "Das werde ich nicht zulassen. Du bist ein freies Kind, und was dein Vater tut, ist unmenschlich."
Kiyomi: "Papa ist aber ein Mensch."
Lehrerin: "Vielleicht, aber er benimmt sich nicht wie ein Vater."
Kiyomi: "Woher willst du das wissen? Du bist nicht mein Papa!"
Lehrerin: "Ich muss kein Vater sein, um zu wissen, dass das falsch ist."
Kiyomi: "Papa sagt, ich darf nicht darüber reden."
Lehrerin: "Worüber?"
Kiyomi: "Dass Papa das sagt."
Lehrerin: "Er bedroht dich und nennt dich eine Plage. Er lässt deine Mutter nicht helfen. Diese ganze Situation ist der Ursprung deiner Schattenaffinität. Was hast du davon, dich selbst zu belügen?"
Kiyomi: "Papa sagt, er liebt mich, aber ich verstehe es nicht."
Lehrerin: "Ich verstehe auch nichts. Warum sagst du nicht einfach, was los ist?"
Kiyomi: "Wenn ich erzähle, dass er mich schlägt, sperrt er mich zuhause ein. Ich will das nicht. Ich will weg von ihm!"
Lehrerin: "Wieso sagst du das nicht sofort?"
Kiyomi: "Ich habe Angst."
Lehrerin: "Dein Vater ist ein Monster."
Kiyomi sah sich um, um sicherzugehen, dass er nicht in der Nähe war, und flüsterte:
Kiyomi: "Ja, aber ich kann nicht weg!"
Lehrerin: "Warum hast du nie etwas gesagt?"
Kiyomi: "Er findet es heraus."
Lehrerin: "Was meinst du mit 'er liebt dich'?"
Kiyomi: "Er sagt, er tut es für mich. Ich bin nur sein Kind."
Lehrerin: "Dein Vater hat sie wirklich nicht alle."
Kiyomi: "Nicht so laut! Vielleicht hat er was an meine Tasche gepackt."
Lehrerin: "Das klingt nach Paranoia. Du solltest von zuhause verschwinden. Ich werde dir helfen. Vergiss die Sache mit dem Arzt."
Kiyomi: "Warum?"
Lehrerin: "Ich hatte Angst, dass du eine Schattenmagierin wirst, aber wenn es nur die Affinität bleibt, ist es nicht so schlimm."
Kiyomi: "Was heißt Schattenmagierin?"
Lehrerin: "Das ist jetzt nicht wichtig. Es tut mir leid. Ich wusste nicht, wie sehr du leidest."
Kiyomi: "Wieso tut es dir leid?"
Lehrerin: "Ich wollte, dass du eine Anti-Magie-Impfung erhältst."
Kiyomi: "Was ist das?"
Lehrerin: "Eine Impfung, damit dein Magieorgan nicht weiterwächst. Ich dachte, du würdest zu einer Bedrohung."
Kiyomi: "Was für eine Bedrohung?"
Lehrerin: "Das können wir jetzt nicht besprechen. Aber mach dir keine Sorgen, du wirst es schaffen. Wenn du Hilfe brauchst, sprich mich an."
Das Gespräch mit der Lehrerin half Kiyomi, sich zu entscheiden, von zuhause abzuhauen.
Mit 15 Jahren schaffte sie es endlich, ihrem Vater zu entkommen. Das kleine Mädchen und ihr Vater sahen sich nie wieder, denn er war für sie kein Vater mehr, nur noch ein alter, vergessener Mann.