Kapitel 4: Ein Kampf im Inneren
Akio stand endlich vor Kevin. All die Gerüchte, die Erniedrigungen, die endlosen Nachstellungen – sie hatten ihn hierhergeführt. Tief in seinem Inneren hatte er es immer gewusst. Kevin war der Ursprung all dessen, was ihn belastete. Doch jetzt, wo er vor ihm stand, zitterten seine Hände. Seine Wut brannte, sein Puls raste, und die Worte seiner Freunde hallten in seinem Kopf wider: „Das bringt nichts, Akio." Aber die Stimme, die immer bei ihm war, übertönte alles.
„Es ist dein Recht, Akio. Lass sie es spüren."
Akio atmete schwer, seine Brust hob und senkte sich unregelmäßig. Der Schmerz der letzten Wochen brodelte in ihm wie Lava, und er konnte es nicht mehr unterdrücken. Sein Blick fixierte Kevin, der ihn spöttisch anlächelte.
„Was stehst du da wie angewurzelt? Hä?" höhnte Kevin. „Kannst du dich immer noch nicht von meinen Tritten erholen?"
Akio ballte die Fäuste, sagte nichts. Stattdessen rannte er die wenigen Meter auf Kevin zu und schlug mit all seiner Kraft zu. Der Schlag traf Kevin an der Wange und ließ ihn leicht ins Straucheln geraten. Doch Kevins Lächeln verschwand nicht.
„Du Spinner!" spuckte Kevin aus. „Denkst du, das hat mir wehgetan? So geht das!"
Sein Schlag traf Akio direkt auf die Nase. Der Schmerz explodierte wie ein Blitz in seinem Gesicht. Akio stolperte rückwärts, verlor das Gleichgewicht und fiel auf die Knie. Er hielt sich die Nase, spürte das warme, dicke Blut, das unaufhörlich aus seinen Nasenlöchern tropfte. Es vermischte sich mit dem Staub des Bodens und hinterließ dunkle Flecken auf seinem Hemd.
„Das ist ein richtiger Schlag, du Held!" höhnte Kevin und lachte zusammen mit seinen Freunden.
Akio hob mühsam den Kopf, seine Sicht war verschwommen. Sein ganzer Körper schrie vor Schmerz, doch er kämpfte sich wieder auf die Knie. Die Schürfwunde an seinem Arm, entstanden durch seinen ersten Fall, brannte und pochte. Sein Knie blutete durch die aufgerissene Haut, die der grobe Kies aufgerieben hatte. Jeder Atemzug war schwer, und die Worte, die er sagen wollte, blieben in seinem Hals stecken.
Tränen stiegen in seine Augen, unkontrollierbar und unvermeidbar. Der Schmerz war nicht nur körperlich; es war die Demütigung, das Gefühl, dass all seine Bemühungen umsonst gewesen waren. Kevin war stärker, schneller und – schlimmer noch – er genoss jede Sekunde dieses Kampfes.
„Was ist falsch mit dir?" fragte Kevin, seine Stimme klang fast angewidert. „Dachtest du wirklich, du könntest hier irgendwas erreichen?"
Akio schwieg. Seine Augen füllten sich weiter mit Tränen, und dann… dann war da plötzlich Stille. Eine seltsame, erdrückende Stille in seinem Kopf. Er schloss die Augen, und es war, als würde er in eine endlose Dunkelheit gezogen werden.
Als er sie wieder öffnete, war etwas anders. Seine Haltung straffte sich, seine Atmung wurde ruhig und gleichmäßig. Sein Blick war nicht mehr verwirrt oder verletzlich. Es war, als würde es nicht Akio sein, der hier zu Kevin sprach.
„Es reicht mir jetzt mit dir."
„Was redest du für eine Scheiße?" fragte Kevin, doch seine Stimme zitterte leicht. Er trat einen Schritt auf Akio zu, wollte ihn am Kragen packen, doch hielt inne. Irgendetwas stimmte nicht.
„Er scheint jetzt zu schlafen," sagte Akio. „Also kümmere ich mich um dich."
„Hast du irgend' ne' Störung? Der hat eine Krise, Jungs, der hat Probleme!" Kevin lachte nervös, während seine Freunde unsicher zurückwichen.
„Du wirst es bald bereuen," fuhr Akio fort, ohne Kevin anzusehen.
„Was soll ich bereuen? Deine harten Worte? Ha…" Kevin versuchte, seine Unsicherheit mit Spott zu überspielen, doch es gelang ihm nicht ganz.
Akio hob langsam den Kopf, seine Augen wirkten unnatürlich leer. Seine Stimme wurde tiefer, jedes Wort schien die Luft schwerer zu machen.
„Erde und Natur in Einklang gebracht…" begann er, seine Worte wie eine fremde Melodie.
„Was redest du da?" fragte Kevin und lachte erneut, doch es klang gezwungen.
„…zusammengehalten und separiert…" fuhr Akio fort, seine Augen fixierten Kevin.
„Erzählst du jetzt Gedichte?" Kevin trat näher, seine Hand zuckte nach Akios Kragen, doch er hielt inne. „Du bist doch am Bluten."
„…der Tod ereilt die, die dem Druck nicht standhalten," endete Akio, und seine Stimme hallte in der Luft nach.
„Du willst mich töten?" fragte Kevin, sein Ton scharf und voller Unsicherheit. „Das ist dein Plan? Lächerlich… kommt, wir gehen."
Doch bevor er sich abwenden konnte, sprach Akio mit einer plötzlichen, befehlenden Kraft: „BEFREIE MICH VON ALLEM, WAS MICH BELASTET."
Der Boden unter ihnen begann zu beben. Zuerst leicht, dann stärker. Die Erde schien zu pulsieren, und die Pflanzen um sie herum bogen sich wie unter einer unsichtbaren Last. Kevins Freunde schrien, versuchten wegzulaufen, doch ihre Beine versagten ihnen. Kevin selbst fiel auf die Knie, seine Hände pressten sich in den Boden, als ob er sich festhalten könnte.
„Was… was machst du?" keuchte er, seine Stimme voller Panik.
Akio erhob sich langsam, während der Boden unter seinen Füßen still blieb. Der Druck, der Kevin und seine Freunde zu Boden zwang, schien auf Akio keine Wirkung zu haben. Er drehte sich um und ging mit langsamen, gleichmäßigen Schritten davon.
Kevin rief ihm nach, seine Stimme war schwach und brüchig: „Das bist nicht du…"
Akio blieb stehen, blickte jedoch nicht zurück. Die Stimme in ihm flüsterte leise, fast beruhigend: „Siehst du? Mit mir wirst du niemals schwach sein."
Ohne sich weiter umzusehen, setzte Akio seinen Weg fort. Im Schulgebäude angekommen, ließ er sich an seinem Platz nieder, seine blutverschmierte Nase störte ihn nicht. Mit dem Kopf auf seinen Armen flüsterte er leise, kaum hörbar und erschreckend zufrieden:
„Was… war das für ein Traum?"